Münchens frühere Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße wurde von den Nazis zerstört.
Seit 40 Jahren Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde: Charlotte Knobloch.
Die Synagoge Ohel Jakob am Münchner Jakobsplatz gab der Feier mit Polit-Prominenz einen würdigen Rahmen. © Balk/dpa, SZ Photo, Reichwein
München – Im Land der Täter neue Wurzeln schlagen? Für viele Juden war 1945 die Wiedergründung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland unvorstellbar. Und doch hat sich im Juli nach Kriegsende die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) zusammengefunden. Viele ihrer Mitglieder wollten eigentlich auswandern, nach Palästina oder in die USA, genauso viele wollten oder konnten dann aber doch nicht. Heute feiert die Kultusgemeinde ihren 80. Geburtstag – ein Ereignis, das gestern mit einem Festakt und hochrangigen Gästen in der Ohel-Jakob-Synagoge am Jakobsplatz begangen wurde.
„Jüdisches Leben in Deutschland muss heute nicht nur geschützt und bewahrt werden, die Gesellschaft muss es vor allem als eine Geschichte reicher Kultur würdigen“, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Rede vor der Festgemeinde. Judenhass käme in Deutschland von rechts, von links und aus religiösem Eifer, eine tolerante Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach ebenfalls und betonte in seiner Rede den Zusammenhalt zwischen Bayern und den jüdischen Gemeinden. Und auch Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, entrichtete seine Glückwünsche in Persona. Er betonte „die übermenschliche Kraft“ der Männer und Frauen, die 1945 „mit kaum mehr als einem Lichtschimmer am Horizont“ eine neue Gemeinde begründet hatten. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) versprach: „Sie werden nie wieder alleine kämpfen!“ Unter den Zuschauern sah man den Publizisten Michel Friedmann, oder Ron Prosor, den Botschafter Israels in Deutschland.
Besondere Aufmerksamkeit bekam gestern allerdings Charlotte Knobloch, die mittlerweile 92 Jahre alte und so immens wichtige Präsidentin der 9300 Mitglieder starken Kultusgemeinde. Denn einerseits war es ihr Vater, der Rechtsanwalt Fritz Neuland, der 1945 zu den wichtigsten Gründern zählte. Neuland war viele Jahre lang Präsident bis zu seinem Tod 1969. „Er war der Überzeugung, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehört“, sagte Knobloch. „Das sahen damals die meisten jüdischen Menschen anders. Aber ich meine heute: Seine Entscheidung war richtig.“
Andererseits ist Knobloch seit 40 Jahren selbst Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde – sie feierte gestern ihr Amtsjubiläum. Ungetrübte Freude verspürte sie dabei nicht, denn „jüdische Menschen haben wieder Angst wie seit dem Holocaust nicht mehr. Der Judenhass prägt ihren Alltag“, sagte sie bei dem Festakt. Sie sehne sich zum Jubiläum nach einem, nämlich „dass jüdische Menschen in diesem Land wie alle anderen auch frei und sicher leben können. Dafür werde ich mich mit aller Kraft einsetzen.“
Münchens Israelitische Kultusgemeinde ist die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. Seit 2006 hat sie ihren Sitz im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz. Das Geburtstagsgeschenk der Stadt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kündigte an, in Kürze eine Straße in Synagogen-Nähe nach Fritz Neuland benennen zu wollen. Er bezeichnete den Aufschwung jüdischen Lebens in München als Verdienst der Überlebenden, „die sich ihren Glauben an die Bereitschaft zum Guten im Menschen bewahrt“ und ihre Vorstellungen von einer gerechten und humanen Welt „gegen alle Barbarei“ verteidigt hätten.ISABEL WINKLBAUER