Lohnt sich die schwere Stallarbeit künftig noch? Wenn die EU beim Geld für die Landwirtschaft kürzt, fürchtet der Bauernverband um den Bestand vieler Höfe. © FRP/picture alliance
München/Brüssel – Seit 63 Jahren gibt es die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Sie soll die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln garantieren, den Lebensstandard der Landwirte verbessern und die Agrarmärkte stabilisieren. Die GAP ist der einzige vergemeinschaftete Politikbereich. Jetzt stehen grundsätzliche Veränderungen an, die vor allem den Bauern tiefe Sorgenfalten in die Stirn graben.
Gestern hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für den mehrjährigen EU-Haushalt von 2028 bis 2034 auf den Tisch gelegt. Und der enthält gravierende Veränderungen: Brüssel will den Geldtopf für die Agrarpolitik (derzeit 30 Prozent des EU-Haushalts in Höhe von 1,2 Billionen Euro für 2021 bis 2027/künftig sind zwei Billionen geplant) mit anderen Politikbereichen zusammenlegen. Es ist von Modernisierung, Vereinfachung und Flexibilisierung die Rede. Die Länder sollen Möglichkeiten bekommen, eigenverantwortlich Agrargelder auch für Wirtschaftsförderung auf dem Land oder soziale Projekte einzusetzen.
Der Bayerische Bauernverband (BBV) befürchtet nun, dass Bauern bis zu 20 Prozent ihres Einkommens verlieren könnten und die Agrarpolitik renationalisiert werde. „Jeder könnte es so machen, wie er es für richtig hält und wo er Schwerpunkte setzt“, warnt Matthias Borst, stellvertretender Generalsekretär des BBV. „Damit fallen wir auseinander.“ Befürchtet wird, dass derartige Veränderungen gerade Extremisten Auftrieb verleihen könnten nach dem Motto: „Braucht es dann noch die EU, wenn alle Mitgliedsstaaten ihr Ding machen?“
Derzeit sehe es so aus, als bekomme jedes Mitgliedsland einen Geldtopf zur Verfügung gestellt (wobei die Summe niedriger sein könnte als bisher). Wie die Länder die Gelder schwerpunktmäßig einsetzen, sollen sie erst einmal selber diskutieren. Die EU wolle nur Zielgrößen vorgeben, etwa im Klimaschutz. „Das können Landwirte machen, das kann auch jemand anderer sein“, sagt Borst nach den bisherigen Kenntnissen.
„Wer die Axt an die GAP als zentrale Unterstützung familiengeführter Landwirtschaftsbetriebe ansetzt, legt auch die Axt an Europa an“, warnt Bauernpräsident Günther Felßner. Die Gemeinsame Agrarpolitik bezeichnet er als Stabilitätsanker in den ländlichen Räumen der 27 Mitgliedsstaaten. Die GAP müsse eigenständig und europäisch bleiben, fordert er. Sie dürfe nicht mit anderen Politikbereichen, etwa der Regionalpolitik, in einen Topf geworfen werden.
Nach Vorstellungen des Agrarkommissars sollen Landwirte nach „Bedürftigkeit“ gefördert werden. Wie es heißt, könnten damit kleinere Höfe oder Jungbauern besser unterstützt werden. Doch steckt der Teufel im Detail: Wer legt fest, wer bedürftig ist, fragt Borst. Er macht sich Sorgen um die vielen Nebenerwerbsbetriebe in Bayern (60 Prozent). Ob ihnen dann Direktzahlungen gekürzt würden?
Die Pläne der Kommission müssen zunächst von den EU-Ländern und dem EU-Parlament beraten werden. Das Parlament muss mit Mehrheit entscheiden, die EU-Länder brauchen zur Annahme des Haushalts Einstimmigkeit. Daher ist schon klar: Es wird lange und harte Verhandlungen geben. Gestern gingen in Brüssel schon Bauern aus Protest auf die Straße. Für Bayerns Bauernpräsident Felßner steht die Existenz der rund 100 000 Familienbetriebe in Bayern auf dem Spiel.
Allerdings steht die EU vor der Quadratur des Kreises: Es müssen 800 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zurückgezahlt werden, pro Jahr 30 Milliarden Euro. Dann soll mehr Geld für die europäische Aufrüstung gegen Russland aufgebracht werden. Schon wird an neue Abgaben gedacht – für Unternehmen mit Jahresumsatz ab 50 Millionen und für nicht recycelten Elektroschrott. Daneben sehen die Pläne vor, dass ein Teil der Einnahmen aus Tabaksteuern aus den Hauptstädten nach Brüssel fließen soll. CLAUDIA MÖLLERS