Unterwegs in ihrem Revier im Herzen Münchens: Die Polizisten Emre San und Andreas Simader auf Streife am Marienplatz. © Marcus Schlaf/Schneider Press
München – Sie liegt mitten im Herzen Münchens – und heuer wird sie 100 Jahre alt! Die Altstadtwache der Münchner Polizei besteht seit 1925, einst war sie Vorbild für die Kult-BR-Serie „Polizeiinspektion 1“ mit Walter Sedlmayr und Elmar Wepper. In der Realität aber geht es deutlich ernster zu. Unsere Zeitung war auf Streife in der Altstadt dabei.
Wie tief Menschen fallen können, wissen Emre San und Andreas Simader. Fast täglich sehen es die Polizisten. Und trotzdem beschäftigt sie das Schicksal dieses jungen Mannes besonders. Verloren sitzt er in der Fußgängerzone am Boden. Mehr als eine Plastiktüte und seine Klamotten sind ihm nicht geblieben. Er habe familiäre Probleme und kein Zuhause. Doch Betteln ist am Marienplatz verboten. Der Obdachlose ist einsichtig und zieht weiter. „Der war noch nicht mal 30“, sagt San. Den schlanken Mann mit gepflegtem Vollbart lässt der Fall nicht kalt. Mit seinen 36 Jahren ist der Polizeihauptmeister kaum älter. Früher haben ihn solche Geschichten bis nach Hause verfolgt. Seit sechs Jahren arbeitet er auf der Polizeiinspektion 11, hat sich ein dickes Fell zugelegt. „Anders geht’s nicht.“
Heute geht er mit Andreas Simader auf Streife. Wer für die Altstadtwache arbeitet, fährt selten Auto. Mit zwei Quadratkilometern ist das Revier fast fünfmal so groß wie die Theresienwiese, zählt zu den kleinsten Bayerns. Aber auch zu den meist frequentiertesten. Bis zu 400 000 Besucher drängen sich täglich durch die Altstadt und den südlichen Teil des Lehels. 100 000 Menschen arbeiten, 15 000 wohnen dort.
Wo sich heute Hunderttausende tummeln, ereignen sich in 100 Jahren spektakuläre Kriminalfälle. Im Treppenhaus vor seinem Büro am Karlsplatz wird am 12. Oktober 1957 der ukrainische Politiker Lew Rebet mit einer Blausäurepistole getötet. Hinter der eiskalten Tat steckt KGB-Agent Bogdan Staschinski. 32 Jahre später erschießt ein Mann mit Pepita-Hut, Sonnenbrille und Schnauzer am Rindermarkt den Geldboten Eckehard Klein. Die Öffentlichkeit kennt ihn als „Kustermann-Mörder“, weil er am 31. Mai 1989 vor dem gleichnamigen Traditionsgeschäft zuschlägt.
300 Meter weiter entfernt eröffnet wenige Wochen zuvor Walter Sedlmayr ein Wirtshaus: der Schauspieler, der als Dienstgruppenleiter Franz Schöninger elf Jahre für die „Polizeiinspektion 1“ auf Streife geht. Tatort wird das „Zum Sedlmayr“ nicht, wohl aber Bezugspunkt für einen der berüchtigtsten Kriminalfälle Münchens. Etwa ein Jahr später wird der Schauspieler in seiner Schwabinger Wohnung ermordet.
In diesen Teil des Reviers kommen San und Simader heute nicht. Sie laufen von der Hochbrückenstraße direkt zum Stachus. Keine fünf Minuten im Dienst haben sie schon den ersten Einsatz. Vor einer Apotheke im Tal lungern ein paar Frauen und Männer herum, rauchen, trinken. In der Vergangenheit sind sie negativ aufgefallen, haben Passanten angepöbelt. Die Beamten kennen sie – und ihre Probleme. „Ich hab seit 45 Jahren Krebs“, krächzt ein Mann. Seine Freunde und er müssen gehen: Die Polizisten erteilen ihnen 24 Stunden Platzverweis.
Ihre Streife ist für San und Simader ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits werden sie nach dem Weg zum Hofbräuhaus oder Selfies gefragt. Andererseits sind da Menschen, die in U-Bahnhöfen liegen und sich nicht bewegen. „Gott sei Dank schlafen sie oft nur“, sagt Simader. Manchmal steckt Ernsteres dahinter. Der 51-Jährige ist froh, wenn er noch helfen kann. Knapp 25 Jahre ist der Oberkommissar Teil der Altstadtwache.
Im Frühjahr 1925 nahmen die Beamten hier ihren Dienst auf. Ursprünglich war das Gebäude für 40 Schutzmänner und fünf Offiziere geplant, aktuell arbeiten 138 Polizisten dort. Die roten Ziegel der Fassade zeugen vom Alter des wuchtigen Baus, genauso das Treppenhaus, das unter Denkmalschutz steht. Vor zehn Jahren werden Teile der PI 11 renoviert und die Arrestzellen verlegt. Doch leider: Die Zellen grenzen jetzt direkt an die umliegenden Häuser. Die Nachbarn hören die Insassen brüllen und gegen Gitter trommeln. Den schockierten Anwohnern zahlt die Polizei ein paar Nächte im Hotel und koppelt die Zellen von der Wand ab.
Kurioses passiert Jahre später im ersten Stock. Dort verhören San und Kollegen einen Ladendieb. Weil es sehr heiß ist, steht das Fenster offen. Aus dem springt der Beschuldigte einfach heraus! „Ich hab ihn noch am Fuß gepackt“, erzählt San. Nach dem Sprung flieht der Dieb, wird aber wieder gefasst. An heißen Tage kühlen jetzt Ventilatoren die Räume. TOBIAS SCHWANINGER