Bierfahrer mit starken Nerven

von Redaktion

Jens Seidel fährt seine Fassl über die engsten Bergstraßen

Sakrisch eng und steil: Auf Wege, wie den hier in der Nähe der Blaueishütte, passt der Unimog grad so.

Für das Hofbrauhaus Berchtesgaden steigt Bierfahrer Jens Seidel jeden Tag in den blauen Unimog. © Kilian Pfeiffer (2)

Berchtesgaden – Es war oberhalb der Blaueishütte, direkt am Abgrund. „Da war kein Platz mehr“, erzählt Jens Seidel. „Aber plötzlich kommt mir ein chinesisches Pärchen entgegen.“ Seidel arbeitet seit knapp 20 Jahren als Bierfahrer für das Hofbrauhaus Berchtesgaden, jeden Tag schlängelt er sich mit seinem Unimog über enge Wege – doch dieser Tag ist ihm im Kopf geblieben. Immerhin hat dieses Paar seinen Unimog auf spektakuläre Weise passieren lassen. „Der Mann hat sich auf den Boden gelegt und mir mit den Armen ‚Fahr!‘ gedeutet.“ Seidel fuhr also ganz langsam Zentimeter für Zentimeter über den Mann hinweg. Bis zur nächsten Ausweichstelle wären es gut 300 Meter bergauf gewesen – das Manöver war für alle Beteiligten einfach unkomplizierter.

Seidel kennt die Bergstraßen im Berchtesgadener Land wie seine Westentasche. Der gelernte Mauerer war lange bei der Bundeswehr, bevor er 2006 als Bierfahrer in seiner Heimat anheuerte. Dass er mal einer der wichtigsten Versorger für die Almhütten – er liefert ja ein ganz besonderes flüssiges „Lebensmittel” – werden würde, hätte sich der heute 43-Jährige davor nie träumen lassen. Gotzenalm, Grünstein- und Schneibsteinhaus, Blaueishütte, Watzmann- und Purtschellerhaus oder Wimbachgries – all diese Hütten beliefert er. Sein wuchtiger Unimog aus den 1990er-Jahren kommt „ohne viel Schnickschnack“ und wird mit bis zu fünfzig 50-Liter-Fässern beladen. Über drei Tonnen wiegt die Ladung.

Die Tour zur Gotzenalm ist Seidels liebste: „Da oben ist’s einfach traumhaft schön.“ Und welche ist die gefährlichste? „Blaueis. Wenn’s da rutschig ist, darf ich keinen Fehler machen. 200 Meter geht’s neben der Straße runter.“ Ein Unfall mit dem motorisierten Gefährt würde dort tödlich enden. Mehr drei solcher Touren pro Tag seien nicht zu stemmen. „Zur Gotzen brauche ich etwa eine Stunde von Berchtesgaden aus. Die letzte Kurve rauf ist wirklich brutal eng. Da muss man manchmal zurücksetzen, und auf jeden Fall wissen, was man tut.“ Fehler sind nicht erlaubt. „Wenn ich da was versaue, verzeih ich mir das nicht. Aber ich würde den Beruf des Bierfahrers im nächsten Leben wieder machen.“

Nach einer halben Million gefahrener Kilometer kennt Seidel nicht nur die Wege gut, sondern auch die Hüttenwirte – und ihre Speisekarten. „Ich muss mir meistens nichts zum Essen kaufen. Ich komm ja dahin, wo es etwas gibt“, erzählt der Bierfahrer und lacht. An so manche Hütte, etwa ans Stöhrhaus oder die Toni-Lenz-Hütte, wird das flüssige Gold durch die Luft geliefert – dann fährt Seidel das Bier eben bis zum Helikopter-Landeplatz. Im Winter beliefert der Bierfahrer mit Nerven aus Stahl nur noch die Bundespolizei, die auf der Kühroint eine Ausbildungsstätte mitten im Nationalpark Berchtesgaden betreibt: „Da sind Schneeketten aufgezogen und ein Betonklotz liegt auf der Ladefläche. Damit kommen wir ohne Probleme hoch auf die Kühroint und wir räumen hier, beim Hofbrauhaus, den Hof vom Schnee frei.“

Der blaue Unimog läuft und läuft und läuft übrigens. Bisher war der TÜV nie ein Problem für ihn. Seidel ist froh, dass sein zuverlässiger Wegbegleiter „ohne viel Schnickschnack“ auskommt. Das Hofbrauhaus hat derzeit 35 Mitarbeitende, braut 30 000 Hektoliter im Jahr und nutzt dafür zwei eigene Quellen im Wimbachgrieß und Hagengebirge. Hier will Seidel bleiben und durch die Berge kurven – solange die Kupplung seines Unimogs mitmacht. „Ich liebe das einfach. Gotzen und Blaueis – da hängt ein Teil meines Lebens dran“, sagt er und schaut hinauf ins Bergmassiv. KILIAN PFEIFFER

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