Verwahrfund Eining (bei Kelheim), gefunden 1975 beim Pflügen. © Archäol. Staatssammlung
Dolch von Döttenbichl, gefunden 1901 bei Oberammergau. © Ammergauer-alpen.de
Pseudo-attischer Reiterhelm. © Leibniz-Zentrum
Maskenhelm vom hellenistischen Typ. © Gäubodenmuseum
Die Römer beherrschten Bayern fast 500 Jahre. © ALBERTO PIZZOLI/Getty Images
Dieses Buch dürfte zum Standardwerk werden: „Bayern zur Römerzeit. Archäologie und Geschichte“ fasst auf 550 Seiten 500 Jahre römische Geschichte in Bayern zusammen – von den Anfängen 15 v. Chr., als der Eroberungsfeldzug über die Alpen begann, bis zum Ende des weströmischen Reiches 476. Gekonnt ordnen die Autoren – der emeritierte Professor für die Archäologie der römischen Provinzen, Thomas Fischer (Mainburg), seine Tochter Veronika und ihr Fachkollege Karlheinz Dietz – die Fülle an Funden ein und erzählen die Geschichte des „römischen Bayern“ auch für Laien verständlich und unterhaltsam. Man blättert in dem reich bebilderten Band, liest sich fest und staunt. Dazu ein Gespräch mit Thomas Fischer.
Herr Prof. Fischer, Ihr Buch wiegt 2,7 Kilo. Die Geschichte der Römer ist also gut erforscht. Aber wo ist Luft nach oben?
Unser Hauptmanko ist, dass hunderte von Grabungen in Bayern auf die wissenschaftliche Auswertung warten. Da ist die Wissenschaft im Rückstand. In der Regel gibt es ja heute vor allem sogenannte Notgrabungen, etwa weil Straßen- oder Hausbau geplant wird und die Archäologen dann schnell noch alles sichern müssen. Das kommt dann ins Depot, bis wir Wissenschaftler etwa Master-Studenten oder Doktoranden finden, die das auswerten. Nur die Hälfte des Gesamtbestands ist bearbeitet, schätze ich.
Was fasziniert Sie denn an der Römerzeit?
Das Interessante ist, dass die Römer auf uns so modern wirken. Bevor die Römer ab 15 v. Chr. über die Alpen nach Raetien kamen, es eroberten mit erstaunlich wenig Kämpfen, haben wir doch geradezu prähistorische Verhältnisse mit primitiven Holzhäusern und Stammesgesellschaften. Und plötzlich kommt da diese Hochkultur mit Straßen und Steinbauten. Die räumliche Ausdehnung ist sensationell, von Großbritannien über Spanien bis Syrien, diese Größe und Durchorganisation hat nie wieder ein Staat erreicht.
Wobei Bayern – oder Raetien – ein Nebenschauplatz war.
Nun ja, Raetien umfasste etwa 80 000 Quadratkilometer, war damit größer als der heutige Freistaat Bayern. Es war aber kein wirtschaftlich blühendes Gebiet, eher eine Militärprovinz und geostrategisch das Vorfeld von Italien. Das war die Hauptfunktion von Raetien.
Wie dicht besiedelt war Raetien?
Relativ dünn. Da gibt es einen Unterschied zur vorherigen Besiedlung durch die Kelten. Es ist eine neue Erkenntnis der Forschung, dass die Kelten aber um 80 v. Chr. infolge germanischer Einfälle aus Mitteldeutschland zum Teil getötet wurden, zum Teil abgewandert sind. Vormals dicht besiedelte Gebiete in Niederbayern oder an der Donau waren nun, als die Römer kamen, weitgehend leer. Es gab keine organisierten Gemeinschaften.
Und wie viele Einwohner hatte Raetien?
Da halte ich mich mit Schätzungen lieber zurück. Regensburg hatte in seiner Blütezeit ab der Mitte des 2. Jahrhunderts etwa 10 000 Einwohner, vielleicht etwas mehr. Augsburg ähnlich. Kempten etwa 5000 bis 10 000. Aber das schwankt auch sehr stark, es gab starke Einbrüche durch die Germaneneinfälle im 3. Jahrhundert und da ist die Bevölkerung stark dezimiert worden.
Welche neuen Trends in der Forschung gibt es?
Wir haben durch die Rettungsgrabungen eine Menge neuer Erkenntnisse. Ein Schwerpunkt ist der Übergang von der Kelten- zur Römerzeit und die Aufsiedlung nach dem Bevölkerungsschwund. Die Keltenstadt Manching etwa war ja verlassen. Aber schon in der Frühzeit, in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts, siedelten sich etwa im Westen um Augsburg Germanen aus dem heutigen Böhmen dort an. Diese Zuwanderung fand im römischen Raetien permanent statt, auch Kelten aus der Schweiz und Frankreich ließen sich nieder. Die Römer duldeten das, weil sie an der Besiedlung interessiert waren. Manche Zuwanderer ließen sich auch leicht für Milizen der Römer gewinnen. Diese Hilfstruppen waren anfangs ganz wichtig, da es bis ins 2. Jahrhundert an den Grenzen noch keine römischen Legionäre gab.
Warum fasziniert uns die Römerzeit so sehr?
Es ist wohl die Höhe der Kultur. Schauen Sie sich nur mal den prächtig verzierten Dolch von Dottenbichl bei Oberammergau an, der heute in der Archäologischen Staatssammlung ausgestellt ist. Und der nur zufällig gefunden wurde, weil ein Ochse am Hang ein Stück Grasboden wegtrat. Ein wunderbares Stück, trotz seiner militärischen Bedeutung ein Stück Zivilisation. Es ist vielleicht so ähnlich wie für uns die Amerikanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Umgang mit der eroberten Bevölkerung war einzigartig, nicht Knechtschaft stand im Vordergrund, sondern die Rekrutierung und die Gewinnung für die eigene Welt. Jeder Hilfstruppensoldat bekam nach 25 Jahren Dienst das römische Bürgerrecht.
Gehen Sie noch auf Grabungen?
Die aktive Zeit ist vorbei. Ich habe mit 15 meine erste Grabung gemacht, habe später Grabungen in Rumänien organisiert und in Syrien gegraben. Mein Soll habe ich erfüllt.
Das Buch
Bayern zur Römerzeit. Archäologie und Geschichte, Pustet Verlag, 552 Seiten, 54 Euro