Ein fataler Hangrutsch

von Redaktion

Ursachensuche nach dem Zugunglück mit drei Toten – Bahnchef erschüttert

Am Abwasserschacht: Verkehrsminister Schnieder, Bahnchef Lutz und Ministerpräsident Kretschmann. © dpa

Hier rutschte Erdreich auf die Gleise. Weiter hinten der entgleiste Regionalexpress. © Bernd Weißbrod/dpa

Der Tag nach der Katastrophe: Bahnmitarbeiter am Unglückszug. © Karl-Josef Hildenbrand/AFP

Riedlingen/München – Am Hang klafft ein großes braunes Loch im sonst üppigen Grün: Hier hat wohl starker Regen die Erdmassen in Bewegung gesetzt – bis sie auf die Gleise rutschten. Vielleicht 100 Meter weiter liegen die Waggons des Unglückszuges, ineinandergeschoben und kreuz und quer über den Gleisen. „Wie eine Ziehharmonika“, beschreibt eine Feuerwehrfrau den Anblick. Landwirt Johannes Figel ist als einer der Ersten vor Ort gewesen. „Den Knall habe ich jetzt noch in den Ohren“, sagt er am Morgen nach der Zugentgleisung in Riedlingen. Es sei zunächst totenstill gewesen. Dann rasten die Rettungskräfte herbei, Er habe geholfen, umgestürzte Bäume zu zersägen und wegzuschaffen, sagt der Landwirt.

Hier im Südosten Baden-Württembergs sind am Sonntagabend drei Menschen ums Leben gekommen: der 32 Jahre alte Lokführer, ein 36-jähriger Bahn-Auszubildender und eine 70 Jahre alte Reisende. 41 weitere Menschen wurden laut Polizei verletzt, einige schwer. Sie werden unter anderem in den Unikliniken in Ulm und Tübingen sowie im Bundeswehrkrankenhaus Ulm behandelt.

Zug überfuhr eine Schlammstelle

Der Dieseltriebzug der Baureihe 612, den die Deutsche Bahn oft auf kurvenreichen Strecken einsetzt, weil er mit Neigetechnik fährt, war am Sonntag als RE 55 auf der Fahrt von Sigmaringen Richtung Ulm. Gegen 18.10 überfuhr der Zug unterhalb des Ortsteils Zell mit hohem Tempo – in Bahnforen wird über 80 bis 120 km/h spekuliert, Näheres wird der bereits gesicherte Fahrtenschreiber ergeben – eine Schlammstelle. Die Waggons entgleisten nach links. Der erste schob sich die Böschung hoch und prallte gegen einen Baum – die Front wurde abgerissen. Wrackteile etwa der Karosserie und Sitze lagen verteilt am Boden.

Auslöser des Unglücks war nach bisherigen Erkenntnissen der Erdrutsch an der Böschung. „Mutmaßlich lief durch den Starkregen, der sich im Bereich der Unfallörtlichkeit ereignete, ein Abwasserschacht über“, teilen Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Das Wasser habe den Hangrutsch ausgelöst, was wiederum wohl die Entgleisung verursachte.

Zum Zeitpunkt des Unglücks prasselten laut Deutschem Wetterdienst (DWD) Unmengen an Regen nieder – ein „extrem heftiger Starkregen“ mit bis zu 50 Litern pro Quadratmeter innerhalb einer Stunde, wie DWD-Sprecher Marco Pukert sagt. Am genauen Unglücksort habe der DWD keine Messstation. Die Auswertung erfolgte aber anhand von Radardaten. Ein geologischer Gutachter habe Messungen am Hang durchgeführt, sagt Polizeipräsident Josef Veser.

Hangrutsch-Gefahr auch in Bayern

Hangrutsch ist bei der Bahn keine Seltenheit – auch in Bayern nicht. Zwei Beispiele: So ist schon seit einem Jahr an der S4 Buchenau–Fürstenfeldbruck eine Langsamfahrstelle eingerichtet, weil der darüberliegende Hang ins Rutschen geraten war. Auch an der S7 Icking–Wolfratshausen, wo die Strecke durch eine regelrechte Schlucht führt, gilt auf 400 Metern Tempo 30 – „Mangel an Böschung“, heißt es im DB-internen Langsamfahrstellen-Bericht, der unserer Zeitung vorliegt. Im Juni 2024 entgleisten nach einem Erdrutsch bei Schwäbisch Gmünd zwei Waggons eines ICE mit 185 Passagieren – diese blieben aber unverletzt.

Am Montagvormittag kommen Bahnchef Richard Lutz und mehrere Politiker zur Unglücksstelle. „Die Bilder und Berichte, die wir alle gestern gesehen haben und vor allem die Eindrücke, die wir alle zusammen heute Morgen hier gesammelt haben, gehen einem sehr nah und lassen einen betroffen und bestürzt zurück“, sagt der Konzern-Vorstandsvorsitzende und kämpft sichtlich mit den Tränen. „Man kann die Kraft der Verheerung noch sehen, die hier gewütet hat“, kommentiert Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) den Anblick der Unfallstelle. „Diese Tragödie erschüttert uns alle zutiefst“, sagt der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. „In dieser dunklen Stunde rückt die Eisenbahnerfamilie zusammen.“DW/DPA/AFP

Artikel 7 von 11