Sein Ort profitiert von der Autobahn: Bürgermeister Klaus Meixner (CSU) in Irschenberg. © THOMAS PLETTENBERG
Die Urlaubsroute schlechthin: Auf der A8 rollt vor allem zur Ferienzeit der Touristen-Verkehr gen Süden. © Rolf Poss/IMAGO
Irschenberg – Wenn Klaus Meixner (66) mal weiter weg ist von daheim, dann geht es ihm wie uns allen, zuallererst fragt man sich: Wo kommst du denn her? Und Meixner, früher Zimmerer, heute Bürgermeister, sagt: „Irschenberg.“ Von den meisten hört er: „Ah, ihr seid‘s die mit der Autobahn!“ Dem kleinen Rest, denen der Ort an der A8 erst mal nichts sagt, antwortet er: „Wir sind die mit der Autobahn.“ Aah!
Jeder, der in Richtung Süden fährt, kennt den Irschenberg. Am ersten Ferientag brettern hier schon mal 160 000 Fahrzeuge drüber. Erst die kleine Senke, Schwung nehmen für den Berg mit bis zu sieben Prozent Steigung, auf der rechten Spur geht Lastwagen und Wohnwagen-Gespannen weit vorm Gipfel (730 Meter) die Luft aus, links geht‘s schneller, auf der anderen Seite mit Alpenblick bergab Richtung Adria – aber Achtung: Der Blitzer am Irschenberg ist fast so berühmt wie die Salzburger Autobahn und die Staus selbst. „Der hat mich bloß einmal erwischt“, sagt Meixner. Seither fährt er strikt nach Tempolimit, und wenn ein Auswärtiger an ihm vorbeirast, dann muss er grinsen. Was die wenigsten Holländer und Hamburger auf Durchreise wissen: Irschenberg ist ein Dorf, ein richtiges, und sogar ein sehr hübsches.
Bürgermeister Meixner sitzt in seinem holzvertäfelten Büro im Rathaus, und wenn er aus dem Fenster schaut, sieht er seine frühere Grundschule, in die jetzt seine Enkel gehen. Heute bleibt es still nebenan, Sommerferien! Das bedeutet oft: Stau im Dorf. „Die Navis“, sagt Meixner, und verzieht das Gesicht. Weil wenn auf der Autobahn wenig oder nix mehr geht, dann verlässt so einen Urlauber die Geduld: Da muss es einen besseren Weg geben! Meixner kann das fast fühlen, wenn die Autos im Ort mehr werden und die Kfz-Kennzeichen unbekannt. Dann geht es schnell, das Handy piepst, die Irschenberger warnen sich: Stau! Ab geht‘s auf die Schleichwege, die nur die Einheimischen kennen.
„Das wunderbare Panorama war ausschlaggebend, dass die Autobahn München–Salzburg 1938 über die Höhe des Irschenbergs geführt wurde.“ So heißt es auf der Chronik-Tafel im Rathaus. Vom NS-Regime als Bauherr steht da nichts, aber wissen tut es natürlich jeder. Wenn der Wind aus Süden kommt, hört man das Rauschen, sagt der Bürgermeister. Es stört ihn nicht, er glaubt, manche Irschenberger könnten ohne gar nicht schlafen. An anderen Tagen hört er nix, obwohl das Dorf nur einen Kilometer von der A8 entfernt liegt.
Früher brachte die Autobahn sogar Urlauber nach Irschenberg, Bauern vermieteten ihre Kammern. Er erinnert sich gern an die Ferienkinder, nur dass die Holländer sein Moped mal mit Wasser betankt haben, fand er nicht so prima. Heute wollen die Leute einen anderen Urlaub machen, etwa am Tegernsee.
Aber von der Autobahn profitiert der Ort immer noch: über die Gewerbesteuer. Im letzten Haushalt war die um 1,4 Millionen auf 4,8 Millionen Euro gestiegen. „Uns geht es gut“, sagt Meixner. Beispiel Turnhalle. Sie wird von Vereinen genutzt und von der Schule. Damit die Kinder bei Sauwetter trocken in die Halle kommen, haben sie unterirdisch einen Gang gebaut. Das kann sich nicht jeder leisten.
Der größte Batzen kommt von dem Teil Irschenbergs, der nicht so malerisch ist wie der Kirchplatz mit Kopfsteinpflaster, Brunnen, Bäcker, Balkon-Geranien. Im Ortsteil Wendling wird getankt, der FC Bayern verkauft Fanartikel, McDonald‘s Burger an fast zwei Millionen Gäste jährlich. Und dann ist da „der Dinzler“. Bei dem Kaffeeröster machen viele Reisende Halt und er ist der wichtigste Treffpunkt in der Region. Es gibt Kaffee, Kuchen, Brot, Geschenkartikel, und wer schon auf der Fahrt in den Urlaub Heimweh kriegt, kann noch schnell das Frühstück Bavaria (Leberkas!) essen. 5000 Gäste zählt man dort pro Tag, sagt Katrin Richter aus der Inhaberfamilie. Immer was los, die Ferien machen wenig Unterschied. „Da wollen viele schnell ankommen und machen weniger Pausen.“
Die Autobahn hat auch Schattenseiten. Die Freiwillige Feuerwehr Irschenberg ist eine der fleißigsten in ganz Bayern. „Wir haben 120 bis 200 Einsätze im Jahr“, sagt Kommandant Josef Erhart mittags am Telefon, da hat er schon zwei A8-Einsätze hinter sich. Er und seine 70 Kameraden werden zu schweren Unglücken gerufen, aber oft auch zu Auffahrunfällen – meistens an der großen Kreuzung, wo es links zum Dinzler geht und rechts nach Irschenberg, ins berühmteste Autobahn-Dorf Deutschlands, das keiner kennt. CARINA ZIMNIOK