Seit 15 Jahren wird vor der Tür gequalmt: Im August 2010 stimmten die Bayern für ein Rauchverbot in der Gastronomie. © Getty
Vor 15 Jahren trat in Bayern das Rauchverbot in Kraft. Und aus Sicht von Ralf Hermannstädter, Einrichtungsleiter der Fachambulanz für junge Suchtkranke bei der Caritas München, zeigt es Wirkung: Die Zahl der Raucher und Hilfesuchenden sinkt. Jugendliche greifen aber häufiger zu einem anderen Suchtmittel als der Zigarette, berichtet der Experte. Ein Gespräch über Abhängigkeit, Selbstlüge und die richtige Entwöhnungs-Strategie.
Vor vier Jahren rauchten noch 22 Prozent der Männer und 15,4 Prozent der Frauen in Bayern. Im Ländervergleich ist das eine niedrige Quote. 1999 lag der Raucher-Anteil noch bei 33,2 bzw. 22,7 Prozent. Decken sich die Zahlen mit Ihren Erfahrungen?
Auch wir spüren, dass die Zahl der Raucher in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Es gibt weniger Teilnehmer in unseren Rauchfrei-Kursen. Ich denke aber, dass das nicht allein auf das Rauchverbot in der Gastronomie zurückzuführen ist, da dieser Trend schon länger erkennbar ist. Andere Veränderungen wie die starke Einschränkung von Tabakwerbung haben ebenfalls dazu beigetragen.
Gerade bei Jugendlichen schrumpfte der Anteil der Raucher. Sind Zigaretten nicht mehr „in“?
Die Jungen dampfen heutzutage eher. Das heißt, sie greifen zu E-Zigaretten, Vapes oder Tabakerhitzern. Hier sind aber meist ebenfalls Nikotin und Aromen enthalten. Natürlich sind sie auch schädlich für die Gesundheit.
Spielen soziale Hintergründe eine Rolle?
Ja, der soziale Hintergrund spielt bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht eine wichtige Rolle – allerdings ist er nicht der einzige Faktor. Es gibt Modelle, die das erklären sollen. Zum Beispiel das Sucht-Dreieck, bestehend aus den Faktoren Umwelt, Individualität und der Droge. Besonders relevant ist hierbei die Wirkung. Gerade die ist bei den ersten Zigaretten ja nicht so überwältigend. Man muss sich eine Sucht also erarbeiten. Die eigene Stimme der Vernunft ignorieren. Sucht und Lüge gehören immer zusammen. Es fängt mit der Selbstlüge an.
In Deutschland rauchen ungefähr 18 Millionen Menschen. Etwa sechs Millionen versuchen jährlich, damit aufzuhören. Verraten Sie Ihre besten Entwöhnungs-Tipps?
Wenn man mit dem Rauchen aufhören will, braucht man einen festen Willen und eine starke Motivation. Zum Beispiel Gründe wie Geld sparen, ein Vorbild für Kinder sein oder Gesundheit. Am besten nimmt man sich Urlaub, damit man eine stressfreie Zeit hat. In der Arbeit findet man sonst immer Ausreden, die zum Konsum führen. Wer es anders nicht schafft, kann zu Hilfsmitteln wie Nikotinkaugummis greifen. Es gibt auch Apps, die einen bei der Rauchentwöhnung unterstützen. Im besten Fall holt man sich professionelle Hilfe.
Trotz Hilfe werden viele rückfällig.
Das liegt daran, dass der Preis bei einem Rückfall nicht so hoch ist wie etwa bei einem trockenen Alkoholiker oder einem entwöhnten Heroinsüchtigen. Wenn man mal wieder eine raucht, macht einen das nicht ganz so kaputt.
Wann gilt man als süchtig?
Es gibt einige Diagnose-Kriterien für Sucht, beispielsweise ein starker Konsumdrang, Kontrollverlust, eine ständige Steigerung der Dosis oder Entzugserscheinungen – Raucher werden dann oft unruhig, fahrig, sind genervt oder sogar depressiv. Wenn drei dieser Kriterien zutreffen, sollte man genauer hinschauen.
Begrüßen Sie das Rauchverbot in der Gastro?
Ja, vor allem zum Schutz der Nichtraucher halte ich Verbote für sinnvoll. Ein Raucher wird deswegen nicht unbedingt damit aufhören. Aber er hat vielleicht weniger Gelegenheit, zur Zigarette zu greifen.