Sie schimpft noch immer: Ramona Buchner ist Kellnerin in Ingrids Bierstüberl. © M. Schlaf (2)
Überzeugter Raucher: Andreas Pfeffer ist Stammgast in Ingrids Bierstüberl.
München – Der Groll sitzt tief. Auch nach 15 Jahren. Andreas Pfeffer zündet sich eine Zigarette an: „Man hätte das auch anders regeln können“, sagt er und bläst Rauch in die Luft. Sein Kumpel vom Nachbartisch ruft rüber: „Ich finde es diskriminierend, dass Raucher draußen sitzen müssen.“ Er erntet zustimmendes Nicken. Dann kommt Ramona Buchner raus zur Freischankfläche, leert Aschenbecher aus. Das Verbot habe Unruhe in die Kneipen gebracht, zerreiße Gespräche, ja sogar Freundschaften, schimpft die resolute Kellnerin mit der Leopardenhose und den roten Fingernägeln. Schlimmer noch: „Es hat viele Existenzen kaputtgemacht.“
In Ingrids Bierstüberl in Untergiesing hat man noch lange nicht vergessen, was Anfang August 2010 passiert ist: Damals trat das neue Gesetz zum Schutz der Gesundheit in Bayern in Kraft, das per Volksentscheid ins Rollen gekommen war. Seitdem gilt in Kneipen, Gaststätten, Bars, Discos oder Festzelten im Freistaat ein striktes Rauchverbot. Ziel war der Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren durch Passivrauchen.
Die Gegner der Regelung prophezeiten damals den Untergang der Wirtshauskultur. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, sagt dazu heute: „Das war definitiv der größte Strukturwandel, den die Gastronomie je erlebt hat.“ Viele kleinere Kneipen hätten deshalb geschlossen. „Da gibt es einen richtigen Knick“, berichtet Geppert. „Je Getränke-lastiger eine Gastronomie ist, desto mehr ist sie davon betroffen.“ Speiselokale hätten das Rauchverbot besser verdaut.
Ramona Buchner gehört zu den Opfern des Kneipensterbens: „Früher habe ich mit meinem Mann zwei Kneipen in Ramersdorf geführt“, erzählt sie und serviert ein Helles. Das Führichstüberl und das Melusinenstüberl. „Mit dem Rauchverbot ging die Häuslschleicherei los“, sagt sie. Heißt: Weil die Gäste in der Kneipe nicht mehr qualmen durften, zogen sie, mit Bier und Zigarette in der Hand, von Wohnung zu Wohnung. Verschämt schlichen sie vorbei, grüßten nicht mehr. Kurz darauf musste das Ehepaar die zwei Stüberl schließen. Heute arbeitet Ramona Buchner als Kellnerin. Die Wirtin in Ingrids Bierstüberl, das wegen seiner Nähe zum Grünwalder Stadion bei 60er-Fans beliebt ist, heißt Manuela Herrmann. Sie hat die Kultkneipe mit den vielen Löwen-Aufklebern von ihrer verstorbenen Mutter Ingrid übernommen. „Das Rauchverbot war am Anfang deutlich spürbar“, erzählt Manuela Herrmann. Das Argument, das Gesetz schütze Kinder, lässt sie nicht gelten, denn: „In einer Kneipe haben Kinder sowieso nichts zu suchen.“ Inzwischen habe sich die Situation zwar eingependelt. Aber gerade im Winter kämpfe man mit Einbußen. Herrmann wünscht sich: „Bitte lasst die Leute in kleinen Kneipen wieder rauchen.“
Viele Gäste in Ingrids Bierstüberl träumen ebenso davon, das Rad zurückzudrehen, oder gar von einem neuen Volksentscheid. Im Juli 2010 stimmten 61 Prozent für die Verschärfung des Nichtraucherschutzes. Der Tag des Entscheids war ein sehr heißer Tag, erinnert sich Andreas Pfeffer, der 15 Zigaretten täglich raucht, ans Aufhören denkt er nicht. „Fußball-WM war auch noch.“ Deshalb ging er damals nicht hin. Er unterschätzte die Wucht der Nichtraucher. Ramona Buchner wettert: „Da sind Leute mit Jesus-Schlapperl zur Abstimmung gegangen, die vorher noch nie in einer Kneipe waren.“ Ein anderer Gast sieht das so: Früher lebten Raucher und Nichtraucher friedlich miteinander. „Aber dann kam der.“ Damit meint er den damaligen ÖDP-Politiker Sebastian Frankenberger, das Gesicht des Nichtraucherschutzes und Initiator des Volksbegehrens, das dem Volksentscheid vorangegangen war. Ihn mag hier keiner in Ingrids Bierstüberl.
Auch Goran Pesta ist kein Frankenberger-Fan. Dabei gehört der 47-Jährige zu den wenigen Nichtrauchern in der Löwen-Kneipe. „Mich haben Zigaretten nie gereizt“, sagt er und trinkt einen Schluck Bier. Der Qualm seiner Spezln stört ihn nicht. Er liebt kleine Boazn. „Man trifft sich und man hilft sich.“ Ein eigener Kosmos, wo das Bier 3,50 Euro kostet. Und der durch jüngste Rufe nach einem Rauchverbot im Freien, etwa in Biergärten, nicht erschüttert werden dürfe. Solche Ideen wehrt Geppert vom Gaststättenverband ebenfalls ab: „Das braucht man gar nicht.“ Die Gefährdung von Nichtrauchern sei hier gering. Für einen Gast im Bierstüberl käme das gar nicht in die Tüte: „Das geht gar nicht.“ MARLENE KADACH