Anna Osiander aus Bischofswiesen. © Kilian Pfeiffer
Anna Osiander rettet Igelbabys. Ehrenamtlich. Für diese Aufgabe ist sie oft die halbe Nacht lang wach. Aber sie ist glücklich über jedes Tier, das sie gesund wieder in der Natur aussetzen kann.
Wenn andere Menschen schlafen, beginnt für Anna Osiander oft der Arbeitstag. Dann rührt sich irgendwo im Haus ein stacheliger Igel auf seinem Nachttrip. „Ich bin bei Bines kleiner Igelhilfe meistens die erste Ansprechpartnerin für die Igelbabys“, sagt Osiander. Sechs Babys inklusive Mutter hat sie kürzlich abgeholt. Der Geruch ist beißend. „Man stellt sich ehrenamtliche Igelpflege romantischer vor, als sie tatsächlich ist.“ In ihrem Beruf als Sachbearbeiterin bei einer Hausverwaltung hat sie mit Bürokram zu tun, am Feierabend mit Medikamentengabe, Wundversorgung und nächtlichem Igel-Geschmatze. Mit der Hilfe von Sabine Strobel engagiert sich Anna Osiander als eine der rund 20 Igel-Pflegestellen im Berchtesgadener Land. Das Team versorgt im Jahr über 400 Tiere, ehrenamtlich – ohne finanzielle Förderung. Sie haben ein Paypal-Konto (bines.kleine.igelhilfe@googlemail.com). Osiander päppelt die Igel aus eigener Tasche wieder auf.
Seit Herbst 2022 arbeitet die 40-Jährige in der Igelhilfe. Seitdem bestimmt der Rhythmus der nachtaktiven Tiere ihren Alltag. Jeder Igel braucht seine eigene Box mit Tageslicht und Raumtemperatur, genähte Stoffhöhlen, Futter, Wasser, Medikamentengaben. Viele Tiere haben Parasiten, manche Verletzungen. Die Boxen müssen täglich gereinigt, die Höhlen desinfiziert, jedes Tier gewogen und alles dokumentiert werden. Besonders fordernd ist die Aufzucht verwaister Jungtiere. Igelmütter bringen im Spätsommer bis zu zehn Junge zur Welt, die sie alle zwei Stunden säugen. Wenn die Mutter überfahren wird, was oft vorkommt, bleiben winzige, blinde Wesen zurück. „Dann heißt es Fläschchen geben. Auch nachts.“
Bei Anna Osiander wachsen die Tiere in einem Indoor-Gehege auf, das man gut reinigen kann. „Tagsüber sind sie nie aktiv“, sagt die 40-Jährige. Der Igel gilt mittlerweile als bedroht. Das hat viele Gründe: Pestizide, Lebensraumverlust und Müll. „Gelbe Säcke sind für Igel eine Todesfalle“, sagt Osiander. „Sie riechen Futter, wühlen sich hinein und können ersticken oder mit der Müllabfuhr abtransportiert werden.“ Auch Laubsauger, Mähroboter und Straßenverkehr fordern jährlich tausende Opfer. „Die Hälfte aller Jungtiere überlebt den ersten Winter nicht.“ Viele Tierärzte wissen wenig über Igel, behandeln sie wie Katzen oder Hunde oder lehnen sie gleich ab. „Oft wird direkt bei einer Verletzung, vor allem bei Madenbefall, zum Einschläfern geraten“, sagt Osiander. Dabei ließen sich viele Tiere retten. Kommt ein Tier gesund durch, muss es zurück in die Freiheit, möglichst dorthin, wo es gefunden wurde. „Igel sind reviertreu“, sagt Osiander. „Sie gehören nach draußen” und seien definitiv keine Tiere für die Couch. „Igel bleiben Wildtiere.“ Zahm werden sie nie. Um aufzuklären, gehen Osiander und ihre Kollegen regelmäßig in Schulen. Sie sagt: „Viele Kinder haben noch nie einen Igel gesehen.“ KILIAN PFEIFFER