Ein Hinweisschild für die Besucherattraktion. © IMAGO
Höhlenforscher Andreas Pflitsch.
Der Zugang zu der Eishöhle im Berchtesgadener Land. Jedes Jahr kommen tausende Besucher.
Rund 60 000 Kubikmeter Eis lagern in der Schellenberger Höhle. © MindScape/IMAGO (2)
Marktschellenberg – Als eine Gruppe Wanderer am 2. August 1925 erstmals mit Karbidlampen und dicken Mänteln die Schellenberger Eishöhle öffentlich besuchen konnte, ahnte wohl niemand, dass damit der Grundstein für eine der außergewöhnlichsten Naturattraktionen Deutschlands gelegt wurde. Hundert Jahre später, im Sommer 2025, feiert der zuständige Verein für Höhlenkunde Schellenberg ein Jubiläum: noch immer ist es die einzige erschlossene Eisschauhöhle des Landes, in der auch Forschung betrieben wird.
Die Schellenberger Eishöhle am Untersberg liegt auf 1570 Metern Höhe. Tatsächlich gilt diese bis heute als ein Ort der Kontraste: Während im Berchtesgadener Tal an guten Tagen die Sommerhitze flimmert, liegt im Inneren des Bergs eine frostige, in Jahrtausenden geformte Welt verborgen. Der Zugang ist beschwerlich, aber für Wanderer reizvoll. Entweder über den Eishöhlenweg von Marktschellenberg aus oder mit der Untersbergbahn den Berg nach oben, gefolgt vom alpinen Abstieg über den Thomas-Eder-Steig zur Toni-Lenz-Hütte. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Höhleneingang. Für viele Besucher ist es der erste unmittelbare Kontakt mit echtem, uraltem Eis.
Der Andrang ist seit Jahren konstant, auch wenn früher deutlich mehr Besucher die Eishöhle besuchten. In normalen Jahren zählt der Verein für Höhlenkunde Schellenberg derzeit rund 5500 Besucher. Im vergangenen Sommer gab es eine Flaute. Wegen eines Lawinenabgangs musste die Saison vorzeitig beendet werden. Vereinsvorsitzender Helfried Unterberger gibt sich dennoch optimistisch. „Ich gehe davon aus, dass die Leute heuer wieder kommen werden“, sagt er.
Im Inneren der Höhle herrscht eine seltsame Stille. Keine technischen Geräusche, kein elektrisches Licht. Nur die Karbidlampen, mit denen noch heute alle Führungen durchgeführt werden. Das Eis scheint hier zu atmen, kristallene Vorhänge hängen von der Decke, gefrorene Stufen führen in eine andere Welt. Die Temperaturen bleiben konstant unter dem Gefrierpunkt, selbst im Hochsommer. Rund 60 000 Kubikmeter Eis lagern hier, an manchen Stellen bis zu 30 Meter mächtig. Der Führungsweg, etwa 500 Meter lang, eröffnet einen Querschnitt durch das Innere des Berges. Wer eintritt, lässt nicht nur das Tageslicht hinter sich, sondern auch jedes Zeitgefühl. 3,6 Kilometer Ganglänge sind derzeit insgesamt erschlossen.
Seit 18 Jahren gehört die Höhle auch zu den festen Untersuchungsobjekten von Prof. Dr. Andreas Pflitsch, Geograf und Extremklimatologe von der Ruhr-Universität Bochum. Sein Team installiert Sensoren, protokolliert Temperaturen in Eis und Fels und analysiert den jahreszeitlichen Wandel der Eismassen im Untersberg. In einigen Bereichen, etwa der Angermayerhalle, ist das Eis in den vergangenen Jahren um deutlich mehr als einen Meter zurückgegangen. In anderen Zonen, wie dem Mörckgang, hingegen wurde Zuwachs festgestellt. Dort gefriert das Wasser aus wärmeren Höhlenabschnitten erneut zu Eis.
Die Höhle ist offen und direkt den Klimaverhältnissen ausgesetzt. Sie bildet das ab, was draußen geschieht. Für die Forschung ist das tatsächlich ein Glücksfall. „Die Höhle reagiert sensibel auf klimatische Veränderungen“, sagt Pflitsch. „Sie ist ein direkter Spiegel der alpinen Umwelt.“ Die Eishöhle birgt zudem Überraschungen. Aus dem abschmelzenden Eis wurden in den vergangenen Jahren immer wieder organische Reste geborgen: Blätter, Pflanzenfasern, aber auch Fragmente vergangener Vegetation. Mittels Radiokarbonmethode konnten einige davon auf ein Alter von über 2400 Jahren datiert werden. Pflitsch hofft derweil auf noch ältere Funde. „3000 Jahre sind realistisch“, sagt er.
Was über das diesjährige anstehende Jubiläum schon klar ist: Die großen Feierlichkeiten bleiben aus. Der Verein für Höhlenkunde Schellenberg e. V., der 1925 gegründet wurde und seitdem unermüdlich Wege sichert, Führungen organisiert und die Höhle vor allem mit ehrenamtlicher Kraft betreut, feiert das Jubiläum bewusst im kleinen Rahmen, sagt der Vorsitzende Helfried Unterberger. Im Herbst erscheint auch ein Buch zur Eishöhle. Verfasst wird es von Wissenschaftler und Höhlenforscher Andreas Pflitsch selbst. Das Werk soll Forschung und Geschichte miteinander verbinden. Die Veröffentlichung ist für Oktober geplant. KILIAN PFEIFFER
Führungen
durch die Eishöhle finden täglich zwischen 10 und 16 Uhr statt. Alle Infos unter eishoehle.net