Ist das Klassenziel gefährdet? Auch in der Grundschule blieben zuletzt fast 2000 Kinder sitzen. © Frank Hoermann/SVEN SIMON
München – Die Grünen im Landtag fordern, das Sitzenbleiben an den Schulen abzuschaffen. Nachdem ein erster Vorstoß im Bildungsausschuss gescheitert war, soll im Herbst im Landtag ein neuer Anlauf unternommen werden. „Wir werden unsere Forderung in der Plenarsitzung behandeln lassen“, kündigte die Bildungsexpertin der Grünen, Gabriele Triebel, gegenüber unserer Zeitung an.
Die Zahl der Wiederholer in Bayern ist im Ländervergleich traditionell überdurchschnittlich hoch. Nach einer Übersicht von 2023 haben nur Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt prozentual mehr Wiederholer. Die Grünen haben über eine Landtagsanfrage neue Zahlen für Bayern eingeholt. Demnach blieben in Bayern in den vergangenen Schuljahren jeweils über 20 000 Schüler sitzen. Die Zahl schwankt leicht auf hohem Niveau. Im Schuljahr 2023/24 waren es 21 713. Zahlen zum gerade abgelaufenen Schuljahr 2024/25 liegen noch nicht vor.
Bei der Detailanalyse fällt auf, dass vor allem an Realschulen und Gymnasien Sitzenbleiben Alltag ist. An Realschulen fielen 2023/24 genau 7944 Schüler durch, am Gymnasium waren es 8727 Schüler. Demgegenüber sind die Zahlen an Grundschulen (1916) und Mittelschulen (3034) niedriger. Keine Überraschung: Es blieben regelmäßig mehr Buben (2023/24: 12 259) als Mädchen (9454) sitzen. Als „alarmierendes Problem“ bezeichnet die Grünen-Abgeordnete Triebel, dass Kinder mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft eine Klasse wiederholen müssen: Während sie 28,5 Prozent der Gesamtschülerschaft ausmachen, beträgt ihr Anteil an den Wiederholern fast 40 Prozent.
Die Grünen berufen sich auf den Bildungsforscher John Hattie, wonach es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, dass Sitzenbleiben einen langfristigen Lerneffekt habe. Als positives Beispiel nennt Triebel den Stadtstaat Hamburg. Dort sei durch eine „kostenlose, verpflichtende Lernförderung“ der Anteil der Klassenwiederholungen auf nur noch 1,2 Prozent reduziert. In Bayern waren es 2023/24 1,9 Prozent, im Schuljahr davor 2,1 Prozent.
Auch in Bayern gibt es Instrumente, um bei drohendem Sitzenbleiben gegenzusteuern, wie das Kultusministerium betont: Intensivierungsstunden an Gymnasien, Ergänzungs- und Förderunterricht an Realschulen, Förderstunden an Grund- und Mittelschulen. Auch Vorrücken auf Probe wird genannt. Es ist in Bayern freilich unterentwickelt, die Bedingungen dafür sind relativ restriktiv. Vorrücken auf Probe ist trotz einer Sechs oder zwei Fünfern in Vorrückungsfächern nur dann erlaubt, wenn dabei in Deutsch, Englisch und Mathe höchstens eine Fünf im Zeugnis steht und zudem die Lehrerkonferenz zustimmt. Das wurde im Schuljahr 2023/24 nur 2576 Schülern erlaubt.
Das Kultusministerium nennt das Wiederholen auf Anfrage „eine pädagogisch begründete Maßnahme“, weil Schüler mit einer Entwicklungsverzögerung die Chance erhielten, Wissenslücken zu füllen. Das „Nichterreichen des Klassenziels“ könne auch „ein wichtiger Hinweis an Kind und Eltern sein“, die Schulart zu wechseln und so „die Weichen für die erfolgreiche Schullaufbahn frühzeitig neu zu stellen“.DIRK WALTER