Viele Smartwatches verfügen über eine Notruf-Funktion. © Privat
Unnötige Einsatzfahrten werden durch die Fehlalarme provoziert. © Redanz/dpa
3208 sogenannte eCall-Meldungen gingen in einem Jahr bei der Münchner Leitstelle ein – ein Großteil davon Fehlalarme. © Sven Hoppe/dpa
München – Erst am vergangenen Samstag war es wieder so weit: Ein automatisierter Notruf ging bei einer bayerischen Leitstelle ein. Abgesetzt von einem Mercedes. Die übermittelten GPS-Daten führten die Einsatzkräfte nach Lindach bei Ingolstadt – wo zwei junge Männer mit ihrem Auto von einem Regionalzug erfasst wurden (wir berichteten). In diesem Fall: kein Fehlalarm, auch wenn für die beiden Autoinsassen jede Hilfe zu spät kam. Doch nicht immer ist diese neue Technik ein Segen.
Automatische Notrufe von Autos, Handys oder intelligenten Uhren haben in Bayern bereits Leben gerettet – sorgen aber in den allermeisten Fällen für unnötige Arbeit bei den Rettungskräften. Durchschnittlich ergebe sich eine geschätzte Fehlalarmquote von über 90 Prozent, teilte der Verband der bayerischen Leitstellenbetreiber auf Anfrage mit.
„Die aktuell hohe Fehlalarmquote ist belastend für Leitstellen und Rettungskräfte“, bilanziert Verbandssprecher Jürgen Meyer. „Wichtig wäre eine bessere technische Qualität, verlässliche Rückmeldemöglichkeiten und vor allem: eine strukturierte Integration in die Leitstellensysteme.“ Unter dem Strich gelte dennoch: „Automatische Notrufe sind eine wertvolle technische Innovation – wenn sie richtig funktionieren.“
Gerade im KFZ-Bereich hätten sie sich bereits vielfach bewährt und Leben gerettet, schilderte Meyer. Bei Smartphones und Smartwatches hingegen besteht nach den Erfahrungen der Rettungskräfte noch erheblicher Entwicklungsbedarf. Bei ihnen seien die Auslöseschwellen oft zu niedrig eingestellt.
Die häufigsten Auslöser automatischer Notrufe sind den Leitstellen zufolge Fahrzeuge mit eCall-Systemen. Daneben sind in der Praxis vor allem Smartphones mit Sturzerkennung oder Unfallfunktion und Smartwatches mit integrierten SOS-Funktionen von Relevanz.
Der Verband hat Angaben von 16 der 26 bayerischen Integrierten Leitstellen zusammengetragen. Diese berichten alle von regelmäßigen und immer häufigeren automatisierten Notrufen. „Die Angaben reichen von mehrmals täglich bis zu über 18 Ereignissen pro Tag. Auch kleinere Leitstellen geben an, dass solche Alarme mittlerweile zum festen Bestandteil des Tagesgeschäfts gehören“, schildert Meyer. Die Zahlen schwankten allerdings stark, da nicht alle Apps und Anbieter strukturiert ausgewertet werden könnten.
Bei der Leitstelle in München beispielsweise gingen mit Stichtag Ende Juni binnen Jahresfrist 3208 eCall-Meldungen und 26 Smartwatch-Alarme ein. Die Leitstellen HochFranken und Schweinfurt zählen je bis zu 30 Einsätze im Monat, und viele andere nannten pauschal „mehrmals täglich“. Die Bandbreite der berichteten Fehlalarme lag dabei zwischen 75 und über 95 Prozent. Augsburg etwa registrierte bei 350 eCall-Meldungen 275 Fehlalarme.
Die Folge sind eine zunehmende Belastung der Leitstellen, die alle Alarme zunächst als echte Notfälle behandeln. Aufwendige Rückrufversuche oder nicht rückverfolgbare Anrufe binden allerdings Ressourcen. Manche Leitstellen sehen hier eine potenzielle Gefährdung, weil Rettungsmittel durch Fehlalarme blockiert und im Ernstfall für andere Patienten verzögert verfügbar sein könnten.
Dennoch haben automatische Notrufe in echten Notfällen bereits Leben gerettet – etwa bei bewusstlosen Patienten oder schweren Verkehrsunfällen ohne Augenzeugen. Vor allem eCall-Systeme punkten dabei mit verlässlicher Datenübermittlung. Das Fazit der Leitstellen lautet daher: „Die Technik ist sinnvoll, aber unausgereift. Es braucht dringend klare Standards und verlässliche Schnittstellen zur Leitstellentechnik.“
ELKE RICHTER