Der Freigeist auf dem Meer

von Redaktion

Gangerl Clemens segelt seit 1988 um die Welt: Jetzt wurde sein Leben verfilmt

Das Plakat zum Film mit Regisseur und Star.

Mit den Filmbrüdern Julian (r.) und Thomas Wittmann.

„Ich genieße die große Freiheit“: Wolfgang „Gangerl“ Clemens auf seiner „Bavaria“. © majestic (3)

Wolfgang „Gangerl“ Clemens hat schon einiges überlebt: zwei Abstürze beim Drachenfliegen, vier Monate Knast in Griechenland, den Jahrhundert-Zyklon Polly mit 20-Meter-Wellen – und einen dramatischen Piraten-Überfall. Seit fast 40 Jahren segelt der 83-Jährige mit niederbayerischen Wurzeln um die Welt. Jetzt kommt das Leben des Aussteigers ins Kino.

Herr Clemens, seit wann haben Sie wieder festen Boden unter den Füßen?

Seit sechs Wochen bin ich in Deutschland. Und seit sechs Wochen bin ich erkältet. Ich fürchte, ich muss hier noch bis Februar bleiben, bis die erste Kino-Tour rum ist. Aber es geht schon. Reine Kopfsache. Und im Augenblick bin ich ganz froh, hier zu sein. In Westpapua ist es fürchterlich heiß, und mein Schiffsmotor ist kaputt. Ich habe die Teile bestellt und hoffe, dass sie ankommen und der Mechaniker meines Vertrauens sie einbaut. Weil wenn ein Schiff in den Tropen steht, geht es kaputt.

Stillstand, das ist nichts für Sie, oder?

Jetzt hier in Deutschland lebe ich in einem selbst ausgebauten Schuppen, sammle Regenwasser auf dem Dach, habe einen 37 Jahre alten VW Bulli vor der Tür, sodass ich jederzeit der Zivilisation entfliehen kann. Viele fragen mich: Gangerl, bist du nicht wenigstens ab und zu einsam? Und ich sage: Ich bin so was von gerne allein. Die glücklichste Zeit überhaupt ist, wenn ich allein auf meinem Boot bin.

Was waren denn unter Ihren vielen Abenteuern die lebensbedrohlichsten?

Die fielen beide ins Jahr 1993. Einmal der Piratenüberfall, einmal der Zyklon.

Mit was fangen wir an?

Mit den Piraten. Ich war auf dem Weg von Thailand nach Borneo und machte einen großen Bogen um die Insel Jolo, wo die Piraten sich verkriechen. Der erste Angriff auf mein Boot fand am Nachmittag statt, ich konnte die Piraten mit meiner Pumpgun vertreiben. Aber weil mein Autopilot kaputt war und ich seitdem durchgehend gesteuert habe, hatte ich abends Anker geworfen.

Und dann kamen die Piraten erneut?

Ja. Mein elektrischer Hund bellte, als die Banditen an Bord kamen. Ich hatte in weiser Voraussicht in der Achternkajüte geschlafen, so hatten die beiden Piraten mir den Rücken zugedreht. Dem ersten schoss ich in den Rücken, dem zweiten in den Arm und zog ihm einen Prügel über den Kopf, bevor ich beide ins Wasser stieß. Dort wurden sie von ihren Kollegen auf ihr Boot gehievt, und dann zogen sie ab.

Haben Sie keine Gewissensbisse?

Nein. Die Piraten sind skrupellos. Ihre eigenen Fischer trauen sich nicht mehr raus aufs Meer, weil die Piraten auf sie schießen und den Fang rauben. Mein Spezl Jürgen Kantner, mit dem ich jahrelang segeln ging, wurde 2017 auf Jolo von der Terrorgruppe Abu Sayyaf vor laufender Kamera geköpft.

Sind das nicht Erlebnisse, wo Sie sich sagen: Jetzt langt‘s?

Nein. Ich fühle mich hier eingeengt. So wie ich lebe, genieße ich die große Freiheit. Und wenn‘s mir wo nicht mehr taugt, dann segle ich auf die nächste Insel.

Und wie war das mit dem Zyklon?

Selbes Jahr, südlich von Australien auf dem Weg zur Antarktis. Ich habe den Zyklon schon bemerkt, aber normalerweise verpuffen sie über Taiwan oder Australien. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er einen Haken schlägt.

Wie kündigte sich der Jahrhundertsturm an?

Du siehst keine dunkle Wolkenfront oder so etwas. Erst schläft der Wind ein bis zur totalen Flaute. Dann entsteht lauter Dunst um dich herum, und schließlich fängt es fürchterlich zu regnen an. Die Wellen waren bis zu 20 Meter hoch. Der Mast ging ein paar Mal unter Wasser, ich wurde an Bord herumgeworfen und brach mir mehrere Rippen an. Schließlich schnallte ich mich in der Kajüte an und wartete auf den Tod. Ich glaube, ich habe in den sechs Tagen viel geschlafen.

In den ersten Jahren waren Sie mit Ihrer damaligen Freundin und dem gemeinsamen Hund unterwegs. Dann trennten Sie sich. Keine Skepsis vorm künftigen Alleinsein?

Ehrlich gesagt war ich froh. Renate war eine tolle Bordfrau, aber eine Segelbremse. Sie wollte immer am liebsten im Hafen bleiben und hat das Auslaufen möglichst lange verhindert. Sie war nicht seetauglich, insofern sind fast fünf Jahre mit mir unterwegs eine lange Zeit. Unseren Hund Sherry hat sie leider mitgenommen. Er war eigentlich ein richtiger Seehund, er hat das Meer geliebt, er hatte vor nichts Angst. Wir waren uns ähnlich.

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