Der Karlsfelder See ist im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel.
Retter im Ehrenamt: Florian Ferstl ist für die Wasserwacht am Karlsfelder See im Einsatz. © Achim Schmidt (2)
Karlsfeld – Florian Ferstl steht auf dem Steg an der Hütte der Wasserwacht am Karlsfelder See im Kreis Dachau. Der BRK-Wasserretter lässt seinen Blick über den See schweifen, ein paar Schwimmer ziehen ihre Bahnen, einige Paddle-Boarder sind auf dem See unterwegs, ein paar Kinder spielen in Ufernähe. Im Moment wirkt alles ganz friedlich. Doch Ferstl weiß: Das kann sich schnell ändern.
So wie an diesem einen Freitagnachmittag im Juni. Der 29-Jährige saß mit Kollegen in der Wasserwacht-Hütte beisammen. Ein heißer Sommertag, der See war voll. Plötzlich standen ein paar junge Männer an der Tür der Wasserwacht-Station. Ihr Freund sei verschwunden. Sie waren zur Plattform im See geschwommen, als sie zurückkamen, war er nicht mehr auf der Liegewiese. Ferstl weiß: So was kann harmlos sein und sich schnell aufklären. Oder es zählt jede Sekunde. Wenn jemand im See in Not gerät, kämpfen die Retter gegen die Zeit.
Nach fünf bis zehn Minuten unter Wasser ist die Wahrscheinlichkeit, ohne Folgeschäden zu überleben, bei null, sagt Ferstl. Je früher jemand gefunden wird, desto besser. An diesem Juni-Nachmittag deutete alles daraufhin, dass der junge Mann tatsächlich im Wasser war. Seine Wertsachen lagen am Platz, er war nirgends zu finden. Ferstl alarmierte die Leitstelle und schickte Taucher der Wasserwacht in den See. Nach wenigen Minuten fanden die Retter den Vermissten unter Wasser. Sie reanimierten ihn am Ufer – doch die Hilfe kam zu spät. Der 18-Jährige starb noch am selben Tag im Krankenhaus.
Diesen Sommer kam es in Bayern bereits zu sehr vielen tödlichen Unfällen an den Seen. An nur einem Tag ertranken im Starnberger See ein 23-jähriger Student und ein 32-jähriger Vater. Beide waren von Booten ins Wasser gesprungen. Besonders tragisch war ein Unglück im Eibsee im Kreis Garmisch-Partenkirchen. Dort war ein Junge von einem Tretboot ins Wasser gefallen, der Vater sprang hinterher, um ihn zu retten. Beide waren Nichtschwimmer und gingen sofort unter. Erst nach tagelanger Suche wurden sie tot geborgen. Am Walchensee wäre es vor Kurzem fast zu einem ähnlichen Unglück gekommen. Auch dort waren ein Vater und seine Tochter fast ertrunken, weil sie die Strömungen im See unterschätzt hatten.
„Immer weniger Menschen können sicher schwimmen“ – das ist Ferstls Eindruck. Und viele würden ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen. „Wir beobachten das oft. Und die Entfernungen bis zum Ufer unterschätzen viele“, sagt Ferstl, während er das Treiben rund um die Schwimminsel im Blick behält. Schon mehrmals mussten die Karlsfelder Wasserwachtler diesen Sommer ausrücken, um entkräftete Schwimmer von dort zu retten.
Sie wünschen sich mehr Gefahren-Bewusstsein von den Badegästen, etwa für die niedrigen Wassertemperaturen. Springt jemand aufgeheizt direkt ins kalte Wasser, kann das zu Kreislaufproblemen, einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Ferstl zeigt auf einen Schwimmer im See, der eine gelbe Boje hinter sich herzieht. Solche Hilfsmittel sollten mehr Leute nutzen, betont er. Dann ließen sich einige Unfälle verhindern.
Wenn es in Bayern nicht so viele Ehrenamtliche gäbe, die wie Florian Ferstl ihre Freizeit am See verbringen, um auf die Wassersportler zu achten, gäbe es noch viel mehr Badetote. Rund 70 000 Retter engagieren sich in der Wasserwacht des Bayerischen Roten Kreuzes, sie rücken etwa 7000 Mal im Jahr aus. Neben der Wasserwacht sorgt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft für Sicherheit an den bayerischen Seen. Auch die DLRG-Retter arbeiten ehrenamtlich. Die Seen haben Wasserwacht und DLRG unter sich aufgeteilt, an manchen sind beide aktiv – zum Beispiel am Starnberger See.
Die Wasserretter arbeiten auch präventiv, so wie am Karlsfelder See an diesem Nachmittag. Ferstl begrüßt eine Gruppe Teenager in der Wacht-Hütte, Austauschschüler vom Rotary-Club, die länger in Deutschland sein werden. Sie sind in Gastfamilien untergebracht – und die wollen sicher wissen, ob die Kinder wirklich schwimmen können. Deshalb müssen die 15 Teenager an diesem Nachmittag einen Schwimm-Test im See absolvieren – unter der Aufsicht von Ferstl und seinen Kollegen. Zwei Mal 20 Meter sollen sie schwimmen. Fast alle bestehen den Test, manche können sehr gut schwimmen. Bis auf ein Mädchen. Als sie keinen Boden mehr unter den Fußen hat, hört sie auf sich zu bewegen und geht unter. Die Wasserwachtler sind mit den Jugendlichen im See und greifen sofort ein. Das Mädchen kommt mit einem Schrecken davon. Wäre in diesem Moment niemand da gewesen, hätte es anders ausgehen können.