Am heutigen Samstag ist der Internationale Tag der Verschwundenen. Er erinnert an Menschen, die gegen ihren Willen an einem Ort und unter Bedingungen festgehalten werden, die unbekannt sind. Eine in Lateinamerika tätige nicht staatliche Organisation, die Federación Latinoamericana de Asociaciones de Familiares de Detenidos-Desaparecidos, hatte 1981 die Idee für einen solchen Tag des Gedenkens.
Etwa zehn Jahre später hat die UN das Verschwindenlassens zum Straftatbestand im Völkerrecht erklärt. 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung die rechtsverbindliche Konvention gegen das Verschwindenlassen und legte den 30. August als Gedenktag fest. 2010 trat die Konvention in Kraft. Ratifiziert wurde sie nur von 72 Ländern. Damals hatte die UN 192 Mitgliedsstaaten.
Es ist klar: Jemanden verschwinden und die Angehörigen völlig im Unklaren zu lassen, ist ein gnadenloser Verstoß gegen die Menschenrechte – und gegen das humanitäre Völkerrecht im Kriegsfall. Die Zahlen über Kinder, Frauen und Männer, die in vielen Ländern der Erde verschleppt, oft gefoltert und ermordet werden, liegen im Dunkeln. Nach manchen Schätzungen gehen sie in die Hunderttausende.
Ich finde es grausam, jemanden zu verlieren und nichts mehr, vielleicht nie mehr etwas von ihm oder ihr zu hören oder zu sehen. Ein einziger Albtraum. Natürlich überlegen Familie und Freunde angstvoll, was mit dem Menschen, der verschleppt wurde, geschieht. Diese Fantasien sind schrecklich. Um ihrer Herr zu werden, wird mit aller Kraft versucht, etwas in Erfahrung zu bringen und ihn oder sie zu retten.
Man hofft und hofft… Wenn sich das über Jahre, Jahrzehnte oder ein ganzes Leben hinzieht, kostet das unendlich viel Lebenskraft. Ohne Gewissheit über das Schicksal des verschwundenen Menschen kann man weder trauern noch tapfer neu beginnen. Es traut sich auch kaum einer der Freunde oder Angehörigen, den Gedanken auszusprechen, dass er oder sie vielleicht tot ist. Das kommt einem schändlich vor.
Die Gefühlslage ist so belastend, dass manche richtiggehend dankbar sind, wenn sie ihre Angehörigen wenigstens tot zurückbekommen. Dann hat die furchtbare Ungewissheit ein Ende. Man kann sich seiner Trauer und Verzweiflung endlich hingeben. Was für ein Leiden muss dem vorangehen! Der Internationale Tag der Verschwundenen ist ein sehr schmerzlicher und gerade deshalb wichtiger Tag.
Vor allem dann, wenn die Namen der Verschwundenen publik gemacht und im Bewusstsein gehalten werden – denn sie dürfen niemals vergessen werden. Sie sollen als Mensch, der sie waren oder sind, in Herzen und Gedanken erinnert werden. Ich weiß, dass das ein frommer Wunsch ist. Aber ich habe ihn: Gebe Gott, dass weltweit alle den geliebten Menschen, der verschwunden ist, wieder in die Arme schließen dürfen.