Wenn wir von Trauer sprechen, denken viele an den Tod. Doch Trauer beginnt oft viel früher – leise und schleichend. Angehörige von Menschen mit Demenz erleben sie Tag für Tag. Es ist eine Trauer ohne Abschied, eine stille, uneindeutige Trauer. Denn der geliebte Mensch lebt – und ist doch nicht mehr derselbe.
Diese Form der Trauer ist besonders schmerzhaft, weil sie nicht als solche anerkannt wird. Es fehlt das klare Ereignis, das gesellschaftlich betrauert werden darf. Stattdessen: ständige kleine Verluste. Der Partner erinnert sich nicht mehr an gemeinsame Erlebnisse. Die Mutter erkennt ihr Kind nicht. Gespräche verstummen. Entscheidungen müssen allein getroffen werden. Und irgendwann steht man vor dem Menschen, den man liebt – und spürt: Du bist da, aber du bist nicht mehr wie früher.
■ Wie geht es mir gerade?
Gefühle sollte man ernst nehmen. Denn Trauer braucht Raum. Sie ist keine Schwäche, sondern eine gesunde Reaktion auf eine chronisch belastende Situation. Ein erster Schritt ist, die Trauer zu erkennen. Wer das Gefühl hat, ständig traurig oder erschöpft zu sein, kaum noch Freude empfindet oder gereizt reagiert, sollte innehalten und sich fragen: Warum fühle ich mich gerade so? Woher kommen die anhaltende Traurigkeit, die depressiven Gedanken? Wie geht es meinem Körper? Habe ich Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Rückenschmerzen? Diese Symptome können Ausdruck seelischer Not sein. Lassen Sie sich mit mir auf ein kleines Gedankenspiel mit folgenden Fragen ein:
■ Was brauche ich gerade?
Es ist wichtig und richtig, sich Gefühle wie Traurigkeit, Wut und Enttäuschung zu erlauben. Gefühle sind nie falsch. Sie sind Signale unserer Seele. Und sie zeigen, was man selbst braucht. Vielleicht ist es Ruhe? Vielleicht tut mir eine Umarmung gut oder ein Gespräch?
■ Wer ist an meiner Seite und kann mir helfen?
Aus meiner Praxis weiß ich, dass Austausch heilsam ist. Reden, über das, was einen gerade traurig macht, hilft. Wer sich im privaten Umfeld nicht anvertrauen möchte, kann in Angehörigengruppen oder in einem Coaching einen geschützten Raum finden. Hier gibt es die Möglichkeit, mit der Trauer offen umzugehen. Das hilft dabei, sie als Teil des Prozesses anzunehmen, und erfährt, dass sie gelebt werden darf.
■ Was kann ich in meinen Alltag integrieren?
Kleine Rituale, wie ein Fotoalbum mit Lieblingsfotos gestalten, Spaziergänge an gemeinsame Lieblingsorte unternehmen, ein Tagebuch führen und reflektieren, was einen gerade bewegt, können helfen, Abschiede bewusst zu gestalten und Erinnerungen lebendig zu halten. Und auch konkrete Hilfe annehmen – etwa von Trauerbegleitern. Niemand muss das allein schaffen. Impulse zum Umgang mit Trauer bietet Desideria im September in einem Online-Impulsworkshop an. Trauer ist schmerzhaft, aber es gibt Wege, sie mit mehr Leichtigkeit zu gehen. Indem wir anfangen, auch die unsichtbare Trauer zu sehen, und ihr Raum geben.
*Désirée von Bohlen und Halbach ist Gründerin und Vorstandsvorsitzende des Desideria e.V.