Schreibschrift auf dem Prüfstand

von Redaktion

Modellprojekt in Bayern: Schüler sollen sich mehr auf Inhalt konzentrieren

Zeitfressende Schreibschrift: Grundschüler sollen stattdessen in einem Modellversuch auf Basis der Druckbuchstaben gleich eine eigene Handschrift entwickeln. © Jens Kalaene/dpa

München – Jahrzehntelang haben Grundschüler in Bayern erst eine Druckschrift, dann eine verbundene Schreibschrift gelernt. Das verwirrt viele Kinder und führt häufig zu unleserlichen, langsamen Handschriften. Deshalb gibt es nun das Modellprojekt „FlowBy“, bei dem Kinder auf Basis der Druckschrift ihre individuelle, teilverbundene Handschrift entwickeln sollen. Am Ende könnte das Aus für die verpflichtende Schreibschrift stehen.

Bisher lernen Erstklässler zunächst die Druckschrift. Ende der ersten oder Anfang der zweiten Klasse wird zusätzlich eine Schreibschrift eingeführt – meist die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA), eher selten die Schulausgangsschrift (SAS). Dabei werden Buchstaben mit Haken und Schleifen durchgängig miteinander verbunden. Gegen Ende der Grundschulzeit sollen Mädchen und Jungen aus Druck- und Schreibschrift ihre individuelle Handschrift entwickelt haben. Aus Sicht der Kinder ist dieser zweiphasige Schrifterwerb oft problematisch: Zum einen verwirrt es viele, dass sie innerhalb kurzer Zeit jeden Buchstaben in vier Varianten lernen müssen – als Groß- und als Kleinbuchstaben, in Druck- und in Schreibschrift. Hinzu kommen diverse Verbindungsmöglichkeiten zwischen einzelnen Buchstabenkombinationen. Dies erschwert, dass der Schreibprozess automatisiert wird, Kinder müssen sich auf ein schönes Schriftbild konzentrieren – statt auf Inhalt, Rechtschreibung oder Grammatik.

Aus den Reihen der Lehrer kommen gemischte Stimmen. Viele wollen ihren Schülern unnötigen Kummer ersparen, vor allem denen, die mit motorischen, sprachlichen oder Lernschwierigkeiten zu kämpfen haben. „Die Vereinfachte Ausgangsschrift ist für manche Kinder schwierig und führt oft zu Handschriften, die schwer lesbar sind und es an Formklarheit und Flüssigkeit vermissen lassen“, sagt Maria Wilhelm, Leiterin des Grundschulreferats im Kultusministerium. „Wir erleben häufig, dass Kinder in der Jahrgangsstufe drei wieder in Druckschrift zurückfallen, obwohl sie zuvor eine Schreibschrift erlernt haben. Das scheint für sie die geläufigere und besser schreibbare Schrift zu sein.“

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) setzt hingegen auf Schreibschrift. „Eine absolute Norm macht aber keinen Sinn“, betont BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dennoch. Stattdessen seien individuelle Wege wichtig. Aus Sicht der Forschung verlangsamen Schreibschriften das Schreibtempo. Kinder, die eine flüssige Schreibschrift zu Papier bringen, schreiben nicht am schnellsten. „Bei einem Satz mit fünf Wörtern haben Kinder, die ganz verbunden schreiben, im Schnitt 22 Sekunden gebraucht“, fasst Eva Odersky von der Uni Eichstätt ihre Studie zusammen. „Diejenigen, die Druckschrift schreiben, benötigten zwei bis drei Sekunden weniger, und die mit einer teilverbundenen Schrift sogar vier Sekunden weniger.“ Das mache im Schulalltag einen großen Unterschied aus.

Das Kultusministerium hat im vergangenen Schuljahr mit dem Modellversuch „FlowBy“ begonnen, in dem Kinder an 43 Grundschulen angeleitet werden, direkt aus der Druckschrift eine flüssige, teilverbundene individuelle Handschrift zu entwickeln. Ohne den Umweg über eine verbundene Schreibschrift, dafür mit vielen Schreibwerkstätten. Je nach Ausgang des Projekts könnten bald mehr Kinder im Freistaat direkt aus der Druckschrift ihre individuelle Handschrift entwickeln. Die Grundsatzentscheidung könnte schon im Schuljahr 2026/27 fallen. Die Bundesländer regeln Schreibenlernen teils sehr unterschiedlich. Trotz aller Dispute hat sich die Kultusministerkonferenz darauf geeinigt, dass die geforderte Verbundenheit „nicht zwingend als verbundene Schreibspur auf dem Papier sichtbar werden“ muss. DPA

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