Ansturm auf die Zugspitze

von Redaktion

„Rekord“: Bergwacht zählt so viele Einsätze wie noch nie

Der Klettersteig an der Zugspitze ist anspruchsvoll.

Schlange stehen für ein Gipfelbild auf Deutschlands höchstem Berg. © M. Schrader, M. Wolf/pa

Einsatz für die Bergwacht Grainau auf der Zugspitze – einer von vielen. © Bergwacht Grainau

Grainau – Toni Vogg, 35, hat sich neulich die Einsatzbilanzen angeschaut. Er ist seit 20 Jahren bei der Bergwacht Grainau, inzwischen Bereitschaftsleiter und auch wenn die Saison noch nicht vorbei ist, weiß er jetzt schon: So viele Einsätze wie heuer hatten sie noch nie, er rechnet mit 140. „Das wird auf jeden Fall ein Rekord.“ Das liegt vor allem an der Zugspitze in seinem Einsatzbereich. Immer mehr Menschen wollen Deutschlands höchsten Berg erklimmen.

Allein im August wurde die Bergwacht Grainau 44 Mal alarmiert, davon 19 Mal am Höllentalferner. Das liegt auch an den Wetterverhältnissen. Früher als sonst war der Schnee heuer weggeschmolzen, der Untergrund wurde zu festem Eis, was die Tour schwieriger macht. Dazu kommen die Sozialen Medien. Toni Vogg stellt fest, dass immer mehr Influencer etwa auf Instagram Bilder von Touren auf die Zugspitze posten. Das lockt viele, für die der Berg ein paar Nummern zu groß ist. Oft scheitert es schon an der Ausrüstung. „Schlechte Schuhe, keine Steigeisen…“, zählt Vogg auf. Aber die Höllentalroute ist keine einfache Wanderung: „Das sind viele Höhenmeter, es geht durchs Eis, dann auf den Klettersteig.“ Dazu kommt das wechselhafte Wetter – und manchmal auch Ignoranz.

Toni Vogg erinnert sich noch gut an einen Tag im Sommer, an dem es wie aus Kübeln geschüttet hat, wie der Wetterdienst es vorhergesagt hatte. Am Nachmittag ging sein Piepser: Drei Bergsteiger hatten das Wetter auf der Zugspitze unterschätzt. So etwas macht Toni Vogg sprachlos. „Ich bin immer freundlich, aber in solchen Situationen fällt es schwer.“ Denn der Leichtsinn der Bergsteiger bedeutet für ihn und die 30 aktiven Kameraden einen anstrengenden Einsatz.

Wie zum Beispiel am Donnerstag. Gegen 13 Uhr ging ein Alarm ein, ein Bergsteiger steckte erschöpft an der sogenannten Randkluft fest. Noch bevor der angeforderte Hubschrauber am Landeplatz in Grainau eintraf, ging die Meldung von drei weiteren Personen in Not ein – darunter eine Frau mit Panikattacken am Einstieg des Klettersteigs. Weil das Wetter zu schlecht für den Hubschrauber war, machte sich eine Einsatzgruppe zu Fuß auf den Weg, ein Retter fuhr mit der Seilbahn rauf und stieg sofort zu den Betroffenen ab. Doch in der Zeit der nächste Alarm: Eine weitere Person war am Klettersteig drei Meter in die Tiefe gestürzt. Es folgten komplizierte Rettungsaktionen – erst gegen 4.30 Uhr war der Einsatz für die insgesamt 19 Aktiven beendet. Vogg weiß, dass viele seiner Kameraden dann trotzdem um sechs Uhr in die Arbeit gehen, auch wenn sie das gesetzlich nicht müssten. Nach einem einsatzreichen Sommer wie diesem hört er öfter mal, dass die Empathie der Bergretter Grenzen hat. Bei Bildern von langen Menschenschlangen am Übergang vom Gletscher zum Klettersteig, in der manche Bergsteiger mehr als zwei Stunden warten müssen, kann er nur den Kopf schütteln. Im Herbst könnte sich die Lage noch zuspitzen. Am 5. Oktober schließt die Höllentalangerhütte, dann starten viele die Tour im Tal – die zusätzlichen Höhenmeter verkraftet nicht jeder.

Hüttenwirt Gernot Auer, der im Jahr etwa 8000 Nächtigungen zählt, stellt ebenfalls fest, dass sich immer mehr Wanderer überschätzen. Oft muss er Steigeisen verleihen, weil seine Gäste keine dabeihaben. „Manche sind unbelehrbar.“ Am Berg aber gibt es nur eine Wahrheit: „Die Zugspitze verzeiht keine Fehler“, sagt Jörg Pflugmacher, Chef der Alpinschule Garmisch-Partenkirchen. Er beobachtet den Ansturm auf die Zugspitze seit einigen Jahren und hat deshalb einen zweitägigen Vorbereitungskurs entwickelt, Kostenpunkt 349 Euro. Die Ausrüstung stellt er, weil das Material, mit dem seine Kunden kommen, selten ausreicht. Ein großes Problem ist die schlechte Selbsteinschätzung. „Manche denken, wenn sie in Hamburg jeden Tag eine halbe Stunde joggen, sind sie fit.“ Aber für eine solche Tour brauche man ganz andere Muskeln und mehr Kondition. In der Kursbeschreibung steht ein Satz fett markiert: „Der Bergführer kann und wird Sie auch bei dieser Tour nicht auf den Gipfel tragen, sondern Sie müssen selbst gehen.“ Und wer die Anforderungen nicht erfüllt, der wird nach dem ersten Kurstag ausgeschlossen. Dann muss das große Zugspitzabenteuer noch warten. CARINA ZIMNIOK

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