DAS PORTRÄT

Ein Pfarrer und seine Kirchturmuhr

von Redaktion

Ebersbergs Stadtpfarrer Josef Riedl. © Stefan Rossmann

Jeden Morgen und jeden Abend steigt Josef Riedl genau 129 Stufen nach oben. Um sich um das „kranke Herz“ seiner Stadt zu kümmern. Die Kirchturmuhr. Als Riedl vor mehr als 20 Jahren als Stadtpfarrer nach Ebersberg kam, erklärte ihm der damalige Kreisheimatpfleger, wie das Uhrwerk gepflegt werden muss. So lernte er nach und nach den Mechanismus kennen. Um die Uhr und zwei Schlagwerke im Betrieb zu halten, ziehen drei 70 Kilo schwere Gewichte an den Zahnrädern. Seit Jahrhunderten müssen sie zweimal täglich per Hand aufgezogen werden. In den 60er-Jahren baute man drei Motoren ein, die diese Aufgabe erledigten. Doch die beiden Motorenaufzüge gaben nach sechs Jahrzehnten nun ihren Geist auf. Also erledigt nun eben der Pfarrer das, was Mesner viel Jahrzehnte lang machen mussten. Er zieht die schweren Gewichte per Kurbel auf – bis die neuen Motoren geliefert sind.

„Im Prinzip ist es nichts anderes wie eine Pendeluhr, die man im Wohnzimmer hängen hat“, sagt der Pfarrer. Nun ja, in etwas anderer Größenordnung: In einem Geviert von etwa zwei Kubikmetern greifen viele Zahnräder ineinander, die durch Ankerhemmungen abgebremst werden. Außerdem gibt es komplexe Winkelzüge, Getriebe, Gestänge, Bolzen und Spinde. Auf den Metallhalterungen liest man handgeschriebene Notizen, wann und mit wessen Hilfe in der Vergangenheit Reparaturmaßnahmen durchgeführt worden sind. Josef Riedl greift nach einer ellbogengroßen Kurbel, setzt sie am Zahnrad des Viertelstundenschlags an und beginnt zu drehen. Das Seil wickelt sich sauber um eine konische Walze, langsam kommt das Gewicht hoch. Das Ganze muss er dreimal wiederholen. „Gleich gibt‘s den Viertelschlag“, kündigt er an. Im metallenen Gefüge bewegt sich wie von Zauberhand ein Bolzen. Er hebt eine Stange, die kurz darauf mit einem Klacken runterfällt und den Schlag freigibt. Ein Rad dreht sich, bewegt einen Hebel, der an einem Seil zieht, an dessen Ende zwei Stockwerke höher der Hammer auf die Glocke schlägt.

Im April 2026 endet Pfarrer Riedls Dienst in Ebersberg. Eine seiner letzten Handlungen wird sein, die Kirchturmuhr zum Beginn der Sommerzeit um eine Stunde vorzustellen. In seinem neuen Wohnort Königsdorf gibt es nur eine elektrisch gesteuerte Kirchenuhr. „Die schlägt auf die Sekunde genau.“Aber für die Zukunft der Ebersberger Kirchturmuhr ist gesorgt, andere werden Riedls Aufgabe übernehmen. Er weiß schon jetzt: „Die Kirchturmuhr wird mir fehlen.“ MARIA WEININGER

Artikel 10 von 11