Der Attentäter Gundolf Köhler war rechtsextrem. © Archiv
Ermittler stellen das Attentat auf der Wiesn mit Puppen nach, eine beugt sich über einen Abfallkorb. © Bundesarchiv
Kurz nach dem Attentat am Oktoberfest-Haupteingang wird ein Sarg weggetragen. © dpa
München – Es war der bis dahin blutigste Anschlag in der Bundesrepublik: Am 26. September 1980, abends gegen 22.20 Uhr, riss eine in einem Abfallkorb deponierte Bombe 13 Wiesn-Besucher in den Tod. 221 weitere Personen wurden verletzt. 45 Jahre nach dem Anschlag hat das Bundesarchiv Dokumente der damaligen Ermittler online veröffentlicht. Sie zeigen, dass die Behörden schon damals auf viele Nachweise stießen, die die Vernetzung des Attentäters Gundolf Köhler in die rechtsextreme Szene zeigten. Die CSU, vor allem CSU-Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß und Innenminister Gerold Tandler, wollten das nicht wahrhaben.
Schon am Tag nach dem Attentat – der Wiesnbetrieb ging unvermindert weiter – hatten die Behörden die Identität Köhlers feststellen können. Dies gelang durch Ausweisdokumente und Verletzungsmerkmale des völlig zerfetzten Täters. „Er stand gebeugt mit dem Oberkörper unmittelbar über dem Abfallkorb“, als die Bombe detonierte, hieß es in der abschließenden Pressemitteilung des Generalbundesanwalts Kurt Rebmann vom 7. Dezember 1982. Zu Köhlers Motiv hieß es darin, dazu könne es „keine sicheren Aussagen“ geben, aber: „Es dürfte in seiner abnormen Persönlichkeitsstruktur, seinem übersteigertem Bezug zu Sprengstoffen sowie in einem unkontrollierten Haß auf die Umwelt liegen.“ Punkt, Aus, Akte zu.
Die Schlussfolgerung der Ermittler war umso erstaunlicher, da sie in den Monaten zuvor detailliert Hinweisen auf Köhlers Kontakte zum Rechtsextremismus nachgegangen waren. Eine Abfrage beim Verfassungsschutz ergab, dass Köhler schon 1976 als damals 17-Jähriger Korrespondenz mit der Wehrsportgruppe Hoffmann pflegte und eine Ortsgruppe dieser bis heute etwas undurchsichtigen Terrorzelle in seiner Heimatstadt Donaueschingen gründen wollte. Zudem sympathisierte er schon als 14-Jähriger mit der NPD und besuchte als Student in Tübingen Versammlungen einer rechtsextremen Hochschulgruppe. Zudem stand fest, dass sich Neonazis seit einigen Jahren radikalisierten: Unter den nun veröffentlichten Dokumenten ist auch eine Zusammenstellung mit dem Titel: „Herausragende Straftaten rechtsextremistisch-terroristischer Personengruppen“ seit Ende 1977 – sie umfasst immerhin neun Seiten. Raubüberfälle, Waffenhandel, Sprengstoffanschläge. Nicht nur die RAF, auch Neonazis waren eine Bedrohung für die innere Sicherheit.
Trotzdem ordnete die CSU den Anschlag zunächst der Linken zu. Das Oktoberfest-Attentat fand nicht einmal zwei Wochen vor der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 statt. Der damalige Kanzlerkandidat der Union, Franz Josef Strauß, hatte das Terrorpotenzial speziell der Wehrsportgruppe Hoffmann vor dem Anschlag fortwährend heruntergespielt. Unter den Aktenstücken des Bundesarchivs ist auch eine Zusammenstellung mit dem Titel „Strauss/Tandler verharmlosen Rechtsextremismus/Wehrsportgruppe Hoffmann“ mit Zitaten wie: „Heute gibt es keine Gefahr mehr von rechts“ und der Einschätzung, man solle sich mit Warnungen vor der Wehrsportgruppe doch nicht „lächerlich“ machen. Dem früheren Münchner OB und damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) wurde es schließlich zu bunt. In einem nun veröffentlichten Brief an Tandler vom 1. Oktober 1980 beschwerte er sich über „kontinuierlich und mit steigender Polemik“ ausgeführte Angriffe Tandlers gegen den Generalbundesanwalt, nur weil der gegen rechts ermittele. „Mit Sorge erfüllt mich dabei, dass Sie sich bei Ihren Äußerungen einer selbst für Wahlkampfzeiten ungewöhnlichen Sprache bedienen“, schrieb Vogel. Er verlangte von Tandler, sich bei Generalbundesanwalt Rebmann zu entschuldigen.
Bis heute ist unklar, ob Köhler Mitwisser hatte. Nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen 2014 führte eine Sonderkommission des LKA über 1000 Vernehmungen durch, die Ermittlungsakten füllen 300 000 Seiten. 2020 wurde das Verfahren eingestellt, aber nun explizit festgestellt, dass Köhler aus rechtsextremer Motivation den Anschlag begangen habe. Nur diese Bewertung ermöglichte es, an die Überlebenden und Hinterbliebenen eine Entschädigung zu zahlen – insgesamt 1,2 Millionen Euro.D. WALTER