Im Gespräch mit Asylbewerben in der Landauer Unterkunft: der damalige Landrat Heinrich Trapp (li.). © LRA Dingolfing
Vor zehn Jahren, im Oktober 2015, berichtete uns der damalige Landrat von Dingolfing-Landau, Heinrich Trapp (SPD), in einem langen Interview recht ungeschminkt über frustrierende Alltagserfahrungen mit Flüchtlingen. Überschrift damals: „Flüchtlinge haben eine Bringschuld“. Wie sieht Trapp, inzwischen im Ruhestand, das heute? Ein Gespräch.
Merkels Ausspruch „Wir schaffen das“ ist in die Geschichte eingegangen. Wie empfanden Sie das als Landrat damals?
Das erste Gefühl war: wir strengen uns an, wir werden das gut hinkriegen. Wir haben geglaubt, dass dankbare Menschen kommen, die lernbereit sind und anpacken wollen. Die allgemeine Ansicht war ja, dass Syrien kein fundamental islamistisches, sondern ein laizistisches Land mit einem relativ hohen Bildungsstandard ist. Arabische, auch syrische Ärzten arbeiteten damals schon bei uns. Aber unsere Erwartungen sind nur zum Teil eingetroffen. Schnell kamen dann die Sorgen und Zweifel.
Sie haben damals in unserem Interview gesagt, Sie seien erstaunt, wie viele Analphabeten unter den Flüchtlingen seien.
Genau so war es. Die Mehrzahl waren Hirten, Schneider, Kleinhändler, meist mit anderen Einstellungen zur Arbeitswelt. Auch die Probleme vieler, sich von Frauen etwas sagen zu lassen, und das nicht vorhandene oder schnell nachlassende Interesse an Sprachkursen teilzunehmen, hat uns ernüchtert.
Hätte man die Flüchtlingszuwanderung angesichts der Krisensituation in Budapest im September 2015 überhaupt begrenzen können?
Ja, das glaube ich schon. Die Situation war in jenen Septembertagen angespannt, gewiss. Wir wussten gar nicht, wen wir in unserem Land aufnahmen. Viele hatten ja ihre Pässe weggeworfen. Wir waren angehalten, alle als Syrer zu behandeln, die von sich behaupteten, sie seien Syrer. Ich weiß noch, wie in Landau unser Dolmetscher aus dem ersten, vollbesetzten Bus zurückkam und uns mitteilte, dass ihn keiner der Ankommenden verstehe. Im Bus aus München saßen hauptsächlich Afghanen, Somalier, Pakistani, Libanesen. Im zweiten Bus waren dann wohl auch einige Syrer, später kamen mehr. Man hätte ihnen klarmachen müssen, dass sie Gast in unserem Land sind und sie sich an Regeln halten müssen. Am Tag, als das von Ihnen damals abgedruckte Foto in der Flüchtlingsunterkunft Landau an der Isar entstand, wurde ich mit Fragen konfrontiert wie: Wo sind unsere Wohnungen? Und wo unsere Jobs? Merkel hat uns das versprochen.
Wissen Sie noch, was Sie damals geantwortet haben?
Ich habe gesagt: Niemand hat euch das versprochen, auch Merkel nicht. Deutschland hatte sich da eine Aufgabe gestellt, für die wir einfach nicht vorbereitet waren. Nicht nur, dass Wohnungen fehlten, die Zahl der Menschen, die uns im Jugendamt, im Ausländeramt, in sozialen Ämtern plötzlich forderten, vervielfachte sich. Wir sollten immer eine schlanke, kostengünstige Verwaltung unterhalten, das zusätzliche qualifizierte Personal war nicht vorhanden. Als sich nach der anfänglichen Euphorie Enttäuschung unter den freiwilligen Helfern breitmachte, hat sich deren Zahl halbiert. Vieles hing mit dem Frauenbild der allein eingereisten Männer zusammen. Unter den Migranten war klar, wer in Deutschland ein Kind zur Welt bringt oder hier Vater wird, kann hier bleiben und ist viele Sorgen los. Da habe ich als Landrat persönlich viele Schicksale mitbekommen, wo bittere Erfahrungen und körperliche Gewalt das Jugendamt und die sozialen Dienste im Landratsamt beschäftigten. Es kamen eben nicht nur Hilfsbedürftige. Zur Wahrheit gehört auch, dass Leute einreisten, die schon Täter waren oder hier zu Tätern wurden.
Sind Sie noch in der SPD?
Ja, meine Eltern als Fabrikarbeiter und ich in meiner Ausbildung zum Lehrer dank BAföG haben sozialdemokratischer Politik viel zu verdanken. Aber ich überlege, ob ich meinen Mitgliederbeitrag reduziere und auf unsere Ortsvereine und unsere Kommunalpolitik umverteile. Die Engagierten an der Basis leiden unter der Migrationspolitik der letzten Jahre und werden oft genug angefeindet. Ich habe mich in Briefen u.a. an die damaligen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und Andrea Nahles gewandt. Gabriel antwortete mir, er wisse von den Missständen, aber er finde in den Bundesgremien dafür kein Gehör.
Für ein SPD-Mitglied haben Sie ungewöhnliche Ansichten.
Ich habe das früher auch anders gesehen. Aber das, was ich mit meinen Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helfern erlebt habe, hat mich verändert. Wenn man unser demokratisches Staatswesen schützen will, darf man nicht Leute ins Land holen, die unsere offene Gesellschaft verachten, ein religiöses Rechtssystem wollen oder Gewalt als legitimes Mittel bei Streitigkeiten ansehen. Vieles wird auch verschleiert, bis heute. Ein Beispiel: Als Landrat besuchte ich den Festakt zu Frauenhäusern in Landshut, sie werden von uns mitfinanziert. Es hieß, die Einrichtung platze aus allen Nähten, die Gewalt in den Familien nehme ständig zu. Als ich nach der Staatsangehörigkeit der Opfer bzw. der Bedroher fragte, bekam ich zur Antwort, das dürfe jetzt nicht mehr gesagt werden. Später habe ich erfahren, dass in Frauenhäusern die allermeisten Plätze von Migrantenfamilien belegt seien.
Wie sehen Sie den Aufstieg der AfD?
Das beunruhigt mich sehr. Unser Landkreis hat in bundesweiten Rankings zu Lebensqualität und Zukunftschancen regelmäßig Bestnoten, teilweise Platz 1 unter 400 Mitbewerbern. Trotzdem schießen die AfD-Wahlergebnisse in die Höhe. Das höchsten Zuspruch mit 60,6 Prozent bekam die AfD bei den Bundestagswahlen dieses Jahr im Dingolfinger Wahlbezirk „Villa Kunterbunt“, wo sich hauptsächlich Aussiedler und Migranten Häuser gebaut hatten. Als ich dort 2019 einem Ehepaar aus Kasachstan zur diamantenen Hochzeit gratulierte, schwärmte mir die Ehejubilarin vor, wie gut es ihnen hier gehe. Sie hätten eine schöne Rente, der Strom falle nie aus, das Wasser komme sogar warm aus der Leitung. Der Sohn baue gerade ein Haus und der Enkel habe sich einen BMW gekauft. Und warum ist dann die AfD bei Ihnen so stark, fragte ich sie.
Was war ihre Antwort?
Ja, Herr Landrat, sagte sie. Wir haben auch viel bekommen, aber nur gegen Zertifikate und Gegenleistung. Die, die heute kommen, erhalten alles umsonst. Merkel sei für sie nicht mehr wählbar, seit sie die Ehe für alle erlaubt, und Putin sei für sie der beste Politiker. Deutsche Zeitungen und Fernsehen brauche sie nicht, sie informiere sich bei „Russia today“. Dort habe sie auch erfahren, dass die AfD das einzige Familienbild habe, das ihr entspreche. Die AfD hat aber nicht nur bei eingebürgerten Zuwanderern wachsenden Zuspruch. Was sagen sie einem Dingolfinger, der sich beklagt, er habe für seine Mutter einen höheren Pflegegrad beantragt und nicht bekommen – und der dann auf die Migranten in der Nachbarschaft verweist, die nichts arbeiten würden? Was sagen Sie dem? Beide Sachverhalte haben zwar nichts miteinander zu tun, aber ich kann doch den Mann verstehen und muss Antworten für ihn haben.
Befürchten Sie nicht, dass Sie von der falschen Seite Applaus bekommen?
Nein. Wer für die Sorgen der Menschen im Alltag kein Ohr und keine Lösungen hat, braucht sich nicht wundern, wenn sie sich abwenden und sich anders politisch orientieren. Man muss sagen, was ist.