Uli Scheele aus Germering. © privat
Wenn Uli Scheele im Büro der „Nummer gegen Kummer“ in München den Hörer abnimmt, weiß sie nie, wer sich am anderen Ende meldet. Ein Teenager nach einem Streit mit den Eltern, ein Kind, das in der Schule gemobbt wird, oder ein junger Mensch, der Missbrauch erlebt hat. „Spannend“ findet sie ihre Aufgabe, trotz oft schwerer Themen. Was sie an den Anrufen besonders schätzt: „Die meisten Jugendlichen sind echt cool und offen.“ Scheele, gelernte Bürokauffrau, kam im Jahr 2000 über eine engagierte Nachbarin zum Projekt. 60 Interessierte bewarben sich für die Ausbildung, 15 wurden genommen – sie war dabei. „Neugier“ war ihre ehrliche Antwort auf die Frage nach der Motivation. „Leute mit Helfersyndrom brauchen wir gar nicht“, sagte der Psychologe damals, der auswählte.
Heute leitet Scheele das Team, sie kümmert sich um Dienstpläne und ist selbst regelmäßig am Telefon aktiv. Wer anruft, bestimmt Thema und Richtung des Gesprächs. Vorgaben oder schnelle Lösungen gibt es nicht. „Wir geben keine Ratschläge“, sagt sie. Stattdessen wird zugehört, gefragt, begleitet, bis zu einer Stunde lang. Ziel ist es, die Anrufenden zur Selbsthilfe anzuleiten. Als Scheele begann, waren ihre eigenen Kinder 14 und 20. Heute könnte ihr Enkel selbst zum Hörer greifen. Vieles hat sich verändert: Früher riefen Kinder vom Festnetz an, Gespräche wurden handschriftlich protokolliert. Themen waren Liebeskummer, Schulstress oder auch Aufklärungsfragen wie: „Kann man vom Küssen schwanger werden?“ Heute läuft fast alles übers Handy. Themen wie Cybermobbing, sexuelle Identität oder psychische Erkrankungen sind alltäglich. Manche fragen, wie sie erkennen, ob sie non-binär sind, andere berichten von posttraumatischen Belastungen.
Doch eines ist gleich geblieben: Das Bedürfnis, gehört zu werden. „Man kann nach wie vor helfen durchs Zuhören“, sagt Scheele. Darauf richtet sie ihren Blick und bleibt dabei selbst am Puls der Zeit. Auf Instagram und Tiktok informiert sie sich, „um zu wissen, was gerade angesagt ist“. „Danke, war super“ – wenn am Ende eines Gesprächs solche Worte kommen, freut sie sich. Auch nach ihrem 70. Geburtstag will sie weitermachen. Nur die Teamorganisation würde sie gern abgeben. Ob sich jemand findet? „Ich fürchte, es gibt nicht viele, die so einen ehrenamtlichen Halbtagsjob übernehmen wollen.“HELGA ZAGERMANN