Abschied vom Sommer: Ein Grund zur Melancholie? Für Rilke zunächst nicht. Sein Fazit – ebenso sein Appell an Gott – klingt nüchtern, sachlich, abgeklärt. Alles habe nun einmal seine Zeit, so auch der Sommer. Nun erwarten wir kürzere Tage, die Herbststürme nahen. Die Früchte – so die zweite Strophe des Gedichts – mögen ihre Reifung vollenden, der schwere Wein zur letzten Süße finden. Und dann doch der schwermütige Seufzer: Wer jetzt kein Haus habe, baue sich keines mehr, wer jetzt allein sei, werde es lange bleiben, werde lesen, lange Briefe schreiben und, wenn die Blätter treiben, in den Alleen unruhig hin- und herwandern. Aber lassen wir unsere Seelen nicht so sehr verdunkeln, denn wir wissen: Ein neuer Frühling wird uns wieder das Licht schenken.PROF. DR. KLAUS MICHAEL GROLL