Gedenken: OB Dieter Reiter begrüßt Dimitrios Lagkadinos, der als 17-Jähriger bei dem Anschlag beide Beine verloren hat. © Felix Hörhager/dpa
München – Als Robert Höckmayr zur Rede ansetzt, muss er sich sichtbar zusammenreißen. Er schüttelt den Kopf, erzählt dann mit fester Stimme, dass er beim Oktoberfest-Attentat vor 45 Jahren zwei Geschwister verloren hat. Zwei weitere nahmen sich später das Leben. Er selbst überlebte den 26. September 1980 schwer verletzt – jenen Tag, an dem der Rechtsextremist Gundolf Köhler mit einer Bombe am Wiesn-Eingang zwölf Menschen mit in den Tod riss.
Jedes Jahr gibt es eine Gedenkfeier am Jahrestag, diesmal sind etwas mehr Menschen gekommen als in den Vorjahren. 300 bis 400 mögen es sein, die sich am Freitagvormittag vor dem Eingang der Wiesn versammeln. Unter ihnen sind auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, viele Stadträte, auch Angehörige des Anschlags am Münchner OEZ von 2016. Eine Bläsergruppe spielt, dann folgen die Reden. Höckmayr kann bei all dem Schmerz auch etwas Positives berichten. Früher kämpften Überlebende und Angehörige gegen abgestumpfte Behörden und „Mitarbeiter ohne Empathie“ für Entschädigung und Hilfe. Doch in den vergangenen Jahren habe sich das „spürbar geändert“, sagt er. Weil der Anschlag jetzt offiziell als rechtsextremistisch eingestuft wird, gab es Entschädigungszahlungen – 1,2 Millionen Euro, nicht die Welt angesichts mehrerer hundert Betroffener und ihren hohen Arzt- und Anwaltskosten, aber immerhin. Auch die Gedenkkultur habe sich verbessert, lobt Höckmayr.
Vor ihm hatte Münchens OB Dieter Reiter (SPD) das Wort ergriffen. Das Attentat sei „der schwerste rechtsterroristische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagt er. Es habe Jahrzehnte gedauert, bis das festgestanden habe – auch ein Verdienst der Angehörigen, denn sie hätten „nicht aufgehört, Akteneinsicht zu fordern und Fragen zu stellen“. Es sei „auch nicht wirklich zu verstehen, warum das Oktoberfest-Attentat bis heute nicht in den bayerischen Lehrplänen steht“, sagt der OB.
Ohne den Namen des CSU-Chefs und damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zu nennen, erinnert Reiter dann daran, dass der Anschlag lange „verharmlost“ und die rechtsextreme Wehrsportgruppe Hoffmann, zu der der Attentäter Köhler enge Kontakte hatte, „als harmlose Spinner abgetan“ worden sei. Eben erst hat das Bundesarchiv Dokumente veröffentlicht, die zeigen, wie Strauß und sein Innenminister Gerold Tandler dieser These folgten (wir berichteten). Für die junge Magdalena Wessely von der DGB-Jugend Bayern, die eine forsche Rede hält, ist es ein Skandal, dass Strauß den Anschlag kurz vor der Bundestagswahl 1980 den Linken unterschieben wollte. Sie nennt es unter Applaus auch „beschämend, dass Ministerpräsident Söder bisher nur ein Mal beim Gedenken anwesend war – und auch das nur, weil da der Bundespräsident auch da war“.
Am Rande sorgt auch die Ankündigung der CSU, Strauß in der Walhalla zu verewigen, für Kopfschütteln. „Ganz nachvollziehen kann ich das nicht“, sagt DGB-Chef Bernhard Stiedl, der den Sozialisten und Begründer des Freistaats Bayern von 1918, Kurt Eisner, für die bessere Wahl hält. SPD-Chefin Ronja Endres nennt den CSU-Vorschlag „fragwürdig“ – sie bevorzugt Wilhelm Hoegner, der am 28. September 1945, also vor 80 Jahren, erster bayerischer Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. OB Dieter Reiter will sich dazu nicht äußern. Er wolle heute „keine Politik reinbringen“, sagt er unserer Zeitung.DIRK WALTER