„Ich bin Momente-Sammlerin“, sagt meine Freundin am Telefon, die ein Fan von Werner Schmidbauers großartigem Lied „Momentnsammler“ ist. Sie erzählt von den schönen Augenblicken ihres Wochenendes. Der Abschiedsgottesdienst eines Pfarrers war dabei mit viel Musik und Sprachkunst – ein echtes Kulturereignis. Die Pop-up-Ausstellung eines Bildhauers am Starnberger See, für den Objekte wie Städte, Häuser, Stühle und Boote aus Holz und Beton typisch sind. Der Spaziergang mit dem Dackel, der Besuch von zwei Freundinnen und das selbst gemachte Traubengelee. Eine Momente-Sammlerin.
Ich habe mich in dieses Wort verliebt. Momente zu sammeln, die Sensation eines Augenblicks im Sinn zu behalten, das macht das Leben als Ganzes schöner. Und es sorgt dafür, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden: Welche Minuten, Stunden und Tage möchte ich intensiv erleben und ganz bewusst in Erinnerung behalten, konservieren? Welche nehme ich besser nicht ganz so wichtig? Weise Differenzierung trägt dazu bei, das Zusammenleben bedeutsamer zu gestalten – und nichts oder kaum etwas irgendwann bitter bereuen zu müssen.
Kostbare Momente sind auch die, in denen man sich verabschiedet – in der fast selbstverständlichen Zuversicht, sich bestimmt wiederzusehen. Aber nichts auf dieser Welt ist selbstverständlich. Gut also, Abschiede besonders zu gestalten und zu sammeln. Morgens aus dem Haus gehen und sich liebevoll verabschieden – „fahr gut“, „hab Acht auf dich“. Wer es leidenschaftlicher mag, sollte ruhig in aller Herrgottsfrühe Sehnsucht ausdrücken: „Ich freue mich schon jetzt auf dich und den Abend mit dir!“ Diese Momente, in Gedanken und im Herzen gesammelt, gehen nicht verloren und tragen durch den Tag.
Wer’s tiefgründig mag, kann zum Abschied „Adieu!“, wörtlich „Gott befohlen“ oder „Behüt dich Gott“ sagen – vorausgesetzt, man meint es so. Solch ein Segenswort, selbst wenn es jeden Tag oder immer wieder lieben Menschen mitgegeben wird, gehört unbedingt in das Album der Momente. Genauso wie liebevolle Rituale des Ankommens zu Hause und des Wiedersehens. Nicht nur das Einmalige ist es wert, aufgehoben und gesammelt zu werden, sondern auch das Alltägliche, das beruhigende Verlässlichkeit vermittelt.
Im Internet wird empfohlen, Momente in Form von Fotos oder Videos, Tagebüchern, Sammelboxen, Gläsern mit Erinnerungsstücken oder mit abgehakten Bucket Lists aufzuheben. Eine Bucket List ist eine Liste mit Dingen, die man noch erleben möchte, bevor man stirbt. Kann man alles so machen. Ich bin glücklich, dass ich eine Freundin habe, die Momente sammelt, und eine Nichte, die seit ihren Jugendjahren nach eigenen Worten „mit der Seele fotografiert“. Da sind die alltäglichen und die besonderen Sensationen am besten aufgehoben.