Gerichts-Verlagerung ärgert den VdK

von Redaktion

Pflegebedürftige müssen künftig von Oberbayern bis nach Schweinfurt pilgern

Das Landessozialgericht an der Münchner Ludwigstraße. Mehrere Senate sollen nach Schweinfurt umziehen. © Florian Peljak/PA

München – Behörden-Verlagerungen sind ein beliebtes Mittel, um strukturschwache Regionen Bayerns zu stärken. Am Donnerstag soll im Landtag ein weiterer kleiner Baustein in diesem Mega-Projekt beschlossen werden: die Verlegung weiterer drei Senate des Landessozialgerichts (LSG) von München nach Schweinfurt. Betroffen sind nur eine Handvoll Richter – aber möglicherweise tausende Kläger, die dann künftig von Oberbayern oder Schwaben nach Schweinfurt pendeln müssen, um dort ihre Leidensgeschichte vorzutragen. „Wir sind alles andere als begeistert“, heißt es vom Sozialverband VdK, der auf den besonderen Personenkreis hinweist, für den diese Verlagerung schwere Folgen haben könnten: „Es sind Personen, die oft chronisch krank sind, schwerbehindert oder pflegebedürftig.“ Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, der Bayerische Blinden- und Sehbehindertenbund und der Landesverband der Betriebskrankenkassen haben Bedenken.

Das Landessozialgericht ist die Berufungsinstanz für die Sozialgerichte, die es in jedem Regierungsbezirk gibt. Ist ein Pflegebedürftiger beispielsweise mit der Einstufung seines Pflegegrads nicht einverstanden, kann er vor dem LSG dagegen vorgehen. Etwa 3300 Fälle werden jährlich verhandelt – und im Unterschied zu vielen Zivilklagen ist es den Klägern oft ein Anliegen, ihre Sache persönlich dem Richter zu erläutern. Schon 1995 erhielt das LSG eine offiziell „Zweigstelle“ genannte Dependance in Schweinfurt. Sechs der insgesamt 20 Senate mit je einem Richter und zwei Beisitzern tagen seitdem dort. Vornehmlich war das für nordbayerische Fälle gedacht. Nun aber will die Bayerische Staatsregierung – alarmiert vom Verlust vieler Industriearbeitsplätze in Schweinfurt – drei weitere Senate verlagern. Der erste soll schon im November umziehen, zwei weitere zwei Jahre später.

Richter des LSG sind alarmiert, weil sie ihren Dienstort wechseln oder aber pendeln müssen – und Schweinfurt von München aus schwer zu erreichen ist. Selbst mit dem ICE dauert die Bahnfahrt (mit Umstieg) drei Stunden, „wenn‘s klappt“, wie ein Betroffener zu bedenken gibt. Beim VdK rechnet man vor, dass die Zahl der Fälle in Nordbayern nicht ausreicht, um dauerhaft neun Senate ausreichend zu beschäftigen. „Schlimmstenfalls werden Betroffene von Traunstein nach Schweinfurt fahren müssen.“

Die Aussichten, die Verlagerung noch zu verhindern, sind vor der Schlussabstimmung im Landtag freilich gering. Bei den vorausgehenden Beratungen in den Ausschüssen stimmten die Regierungsfraktionen CSU und FW dem Vorschlag der Staatsregierung immer zu, SPD und Grüne enthielten sich, nur die AfD stimmte in einem Ausschuss dagegen.

Insider weisen indes noch auf einen juristischen Aspekt hin, der das Vorhaben doch noch zu Fall bringen könnte. Paragraf 28 des Sozialgerichtsgesetzes sieht ausdrücklich nur ein Landessozialgericht je Bundesland vor. Daher hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 1995 schon einmal interveniert: Damals umfasste das LSG nur 16 Senate, die damalige Staatsregierung wollte acht Senate nach Schweinfurt verlagern. Diese „Zweiteilung der Spruchkörper“ sei unzulässig, urteilten die Verwaltungsrichter damals, weil man dann eher von einem zweiten Landessozialgericht, nicht aber von einer Zweigstelle ausgehen müsse. Wenn nun künftig neun von 20 Senaten in Schweinfurt ansässig sind, könne man erneut kaum noch von einer Zweigstelle sprechen, heißt es von informierter Seite. Nicht ausgeschlossen jedenfalls, dass da ein betroffener Richter mal in eigener Sache klagt.DIRK WALTER

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