Pankratia Holl mit ihren Kirchweih-Krapfen und den Auszognen. © Hans-Helmut Herold
Peiting – Pankratia Holls Großmutter Franziska hat sich sakrisch getäuscht. Vor knapp 70 Jahren schüttelte sie nur den Kopf und sagte ihrer Enkelin: „Das lernst du wohl nie mehr.“ Denn der jungen Pankratia gelang es daheim in Peißenberg einfach nicht, die Teiglinge sachte ins kochende Fett zu legen. Die plumpsten oder rollten sich auf die falsche Seite. Ihre Auszognen hatten Risse, die Krapfen waren ungleichmäßig braun und manche Striezel innen noch weich. „Aber Übung macht den Meister“, sagt Holl heute und grinst. Inzwischen hat die 81-Jährige gut lachen – als Krapfen-Königin Peitings.
Der Titel ist ein inoffizieller. In der Gemeinde im Kreis Weilheim-Schongau ist Holl nie gekrönt worden – und doch kennt hier fast jeder ihr Schmalzgebäck. Jeden ersten Freitag im Monat verkauft sie es auf dem Bauernmarkt im Ort. Seit 32 Jahren, ohne Ausnahme. Im Sommer backt Holl ihre Köstlichkeiten direkt vor Ort und verkauft sie warm auf die Hand. Auf ihrer Schürze steht „Bauernmarkt-Queen Grazi“.
An Holls Standl gibt‘s auch Rohrnudeln sowie Nuss-, Mohn-, Mandel- und Marzipanzöpfe. Jetzt zu Kirchweih aber gelüstet es den Bayern bekanntlich nach Krapfen, Strietzeln und Auszognen – je nach Region lautet der Überbegriff für das Schmalzgebäck einfach „Nudeln“. Denn zwei Dinge haben all die Gebäck-Varianten zu Kirchweih gemeinsam: Sie bestehen aus Hefeteig und backen in heißem Fett, bis sie goldbraun sind. Holl nennt ihre Krapfen einfach „Nudeln“ und ihre Auszognen – die flachen Ufos mit dem hauchdünnen Fensterl in der Mitte – „Kiachal“. „Kiachal heißen sie in Peißenberg, Kiachla in Peiting.“
Egal, welchen Namen die Kirta-Schmankerl tragen, so einige Kalorien gehören immer mit dazu. An jenem hohen Kirchenfest wurde auf dem Teller schon immer geklotzt, nicht gekleckert. In Franken, wo einst eine scharfe Grenze zwischen Katholiken und Protestanten verlief, war das „Knieküchle“ ein Bekenntnis: War die Mulde mit Puderzucker überzogen, handelte es sich um katholische Auszogne. Bei evangelischen war das Kranzerl bezuckert.
Pankratia Holl steht in ihrer Backstube zwischen Brot-Backofen, Knetmaschine und einem Sack Mehl. In der einstigen Waschküche auf dem Hof im Weiler Kurzenried, den sie 50 Jahre lang mit ihrem Mann Hans bewirtschaftet hat, wurde schon früher geschlachtet und gebacken. Hans Holl ist vor fünf Jahren gestorben. Die fünf Kinder sind längst aus dem Haus. Das Backen wird Peitings Nudel-Königin aber erst lassen, wenn sie selbst nicht mehr ist.
„Die Leute heute haben so viel Respekt vor Hefeteig, weil es früher hieß, dass er keinen Zug erwischen darf“, erklärt sie. „Bei meiner Oma mussten Fenster und Türen beim Backen noch geschlossen bleiben.“ Ja, Hefeteig friert nicht gern. Wenn Hefezellen platzen, geht der Teig nicht mehr gut auf. Aber bei Zimmertemperatur passiert das nicht. Holls oberste Regel lautet schlicht und einfach: „Man muss dem Hefeteig so lange Zeit zum Gehen geben, bis er sich verdoppelt hat.“
Nachdem der Teig eine halbe Stunde lang geruht hat, formt Holl runde Teiglinge und lässt sie abgedeckt noch einmal gut 20 Minuten lang gehen. Danach haben sie nicht mehr vier, sondern sieben Zentimeter Durchmesser und sind reif für ihr heißes Bad. Für die Kirta-Nudeln drückt Holl die Teiglinge etwas flach, bevor sie sie ins Fett gleiten lässt. „Vier Minuten pro Seite backen“, sagt sie, spickt aber höchstens einmal auf die Armbanduhr. So was hat Holl im Gefühl.
Für ihre Kiachal greift Holl nach einem Teigling und beginnt ihn auseinanderzuziehen. Von der Mitte zum Rand. Vorsicht: „In der Mitte muss der Teig so dünn sein, dass man fast durchschauen kann, er aber auch nicht reißt.“ Fingerspitzengefühl hat Holl nicht von ihrer Mutter Kreszentia gelernt, eher von der Mehlspeisen-Meisterin Oma Franziska – obwohl die nie viel Geduld mit ihr hatte. Bis heute ist Holl also selbstkritisch: „Mal gelingen die Kiachal besser, mal schlechter – je nachdem, wie der Mond steht.“ Heute scheint der günstig. Noch ein Hauch Puderzucker, und die Auszognen sind perfekt.