Den Sommer 2017 verbrachte Brigitte Meier auf der Kallbrunnalm. © Molkerei Berchtesgadener Land
Ein unvergesslicher Sommer: Hanna Auer verbrachte die vergangenen Monate auf der Mordaualm. © Martin Hangen
Ramsau/Taufkirchen – Halb sechs Uhr morgens. Hanna Auer kämpft sich bei Dauerregen den Hang hinunter. Einige Kühe wollen nur mit Extra-Einladung zur Mordaualm zum Melken kommen. Auch ihre Sennerin muss die 200 Höhenmeter erst mal wieder aufsteigen. Viele Höhenmeter sind es nicht, aber irgendwie stecken sie Auer bis heute in den Knochen – vielmehr im Kopf. Von ihren 108 Tagen auf der Alm im Berchtesgadener Land war es dieser Moment, der sie kurz hat zweifeln lassen. „Da hab ich mich gefragt, warum ich das überhaupt mache“, erinnert sich die 20-Jährige. Das Eintreiben der Kühe war an dem Tag nicht strapaziöser als sonst. Wer aber wochenlang 15 Stunden am Tag werkelt, Kühe melkt, Kälbchen zählt, Butter, Topfen und Käse macht und dazu noch viele, viele Gäste bewirtet, darf mental mal kurz durchhängen.
Zum Knochenjob kommt, dass bei schlechtem oder keinem Handy-Empfang der Draht nach Hause gekappt ist. Trotzdem: Der Ansturm auf die Almen ist ungebrochen. Aktuell suchen Bayerns Landwirte nach Personal für die Saison 2026. Der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern dient als Vermittlerbörse – und leitet Bewerbungen an die Almbauern weiter. Voriges Jahr lagen rund 350 Stück vor. Zehn Prozent konnten vermittelt werden.
So kam auch Hanna Auer aus Taufkirchen im Kreis Erding heuer zum ersten Almsommer. Die Mordaualm ist eine von 140 Almen zwischen Watzmann und Zugspitze, die Bergbauern der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land betreiben. Obwohl es viele Interessierte gibt, ist es nicht so leicht, geeignete Senner zu finden. Oft haben die Bewerber nie eine Kuh gemolken. Sie wollen einfach mal raus aus Büro und Alltag. „Uns erreichen oft Anfragen von Leuten, die nur ein, zwei Wochen auf der Alm arbeiten möchten. Aber die Bauern brauchen Personal für drei Monate“, sagt Geschäftsführerin Brigitte Meier. Auch Paare mit fünf Kindern oder überforderte Eltern, die ihre Teenager schicken wollen, fragen an. Aber eine Alm ist weder Urlaubsdomizil noch Heilerziehungsanstalt. „Wer sich als Senner bewirbt, sollte sich fragen, was will ich und was bringe ich dafür mit“, sagt Meier. „Wir empfehlen Neulingen, über einen Kurs Grundkenntnisse in Viehhaltung zu erwerben oder ein Praktikum auf einem Bauernhof zu machen.“ Damit man erkennt, wann ein Tierarzt gerufen werden muss. Und damit jeder weiß, was auf ihn zukommt.
„Wer nicht nur Jungvieh hat, sondern melken, kasen und eine Bewirtung schmeißen muss, dem schadet auch Erfahrung in Hauswirtschaft und Gastronomie nicht“, sagt Meier, die selbst 15 Sommer am Berg gestemmt hat – erstmals mit 28. Stall-Erfahrung hatte Meier schon, ihre Co-Sennerin lehrte sie das Alm-Abc. „Zwei Senner auf einer Alm sind Luxus. Meist ist die Stelle für eine Person. Man muss also auch gut mit sich selbst allein sein können.“
Hanna Auer hat die Senner-Stelle mit ihrem Freund Bernhard Glasl (25) angetreten. Beide nahmen unbezahlten Urlaub und teilten den kleinen Senner-Lohn. Seit ein paar Tagen sind sie wieder daheim in Taufkirchen, zurück im Alltag mit Spülmaschine und Internet. Beides hat ihnen auf der Alm nicht gefehlt. Der Stallgang in aller Früh, „unser Highlight des Tages“, jetzt allerdings schon.
Die Alm-Routine lässt sich nicht so schnell abstreifen: Auer wacht jeden Tag um 5 Uhr auf. Im Kopf Logistik-Fragen, wie wohl das Wetter wird und wie viele Getränke und Lebensmitteln aus dem Tal auf ihre Alm gebracht werden müssen. Fände bei Kaiserwetter die Bergmesse statt, müssten zehn Kuchen gebacken und viele Gäste bewirtet werden. Die Gedanken sind beim süßen Kälbchen Scheckei. „Da standen unsere Kühe vor der Alm, vor roten Wolken und einem Regenbogen. Diese Schönheit entschädigt für die harte Arbeit, davon werden wir noch in 20 Jahren schwärmen.“