Begleiter für das allerletzte Fest

von Redaktion

Auch einige Särge hat er ausgestellt.

Die Holzurne mit Riss gefällt Alof besonders.

Holz statt schwarze Samtdecken: Stephan Alof (r.), seine Geschäftspartnerin Anita Schillinger und ihr Mitarbeiter Thomas Pawelek in ihrem Bestattungsunternehmen. © Martin Hangen (3)

München – Es ist 2013. Stephan Alofs Vater ist gestorben. Er sitzt im Büro eines Bestatters, um die Beerdigung zu besprechen – und alles fühlt sich falsch an. Die gedrückte Stimmung, die grauen Urnen, die schwarzen Samtdecken überall. Alof spürt: So hätte sein Vater seine Beerdigung nicht geplant. Doch es dauert noch ein paar Jahre, bis er merkt, wie prägend dieser Moment beim Bestatter für ihn war.

Seit fünf Jahren ist Stephan Alof selbst Bestatter. Und er möchte einiges anders machen. Er will der Bestatter sein, zu dem er damals gerne gegangen wäre, als sein Vater starb. Ein Kümmerer, ein Begleiter. Leidenschaftlich und empathisch, jemand, auf den man sich in den schwersten Momenten verlassen kann, das ist ihm wichtig. Vor Kurzem haben er und seine Geschäftspartnerin Anita Schillinger neue Räume im Münchner Glockenbachviertel bezogen. Schwarze Samtdecken oder Blumengestecke gibt es hier nicht. Dafür helle Räume mit großen Fenstern, vor denen häufig Passanten stehen bleiben. Auf den ersten Blick würde kaum jemand vermuten, dass er vor einem Bestattungsunternehmen steht. Der Schriftzug am Fenster ist dezent. Die Urnen und Särge sind in den hinteren Räumen ausgestellt. Im Hauptraum gibt es neben Kunstwerken aus Holz einen langen Tisch, an dem Alof oft mit seinem Team zusammensitzt. Oder mit Angehörigen, die eine Bestattung organisieren müssen.

Erst vor ein paar Tagen saßen fünf Geschwister hier. Alof hat viele Fragen zu ihrer 98-jährigen Mutter gestellt, um eine Beerdigung zu organisieren, die zu ihr passt. Es ist ihm wichtig, selbst die ungewöhnlichsten Wünsche zu berücksichtigen. Farbige Särge, Bestattungen auf Naturfriedhöfen, Partys statt Trauerfeiern. „Es ist das letzte Fest des Lebens – das sollte etwas Besonderes sein.“ Alof will dem Tod den Kitsch nehmen. „Es braucht nicht immer Gold“, sagt er. „Außer, die Angehörigen möchten es.“

„Wer weiß schon, was kommt“, steht auf einem Plakat, das gegenüber dem Regal hängt, in dem die Urnen stehen. Sie sind von Künstlern und Handwerkern aus der Region angefertigt, jede einzelne ist ein Unikat. Eine gefällt Stephan Alof besonders. Das Holz hat einen Riss. „Das ist so natürlich und pur wie der Tod.“ Risse gehören schließlich auch zum Leben, sagt er. Beruflich hat der 58-Jährige in seinem Leben schon viel gemacht. Er war Intensivpfleger, Trauerredner, Gastronom, Kirchenvorstand in St. Maximilian. Aber eigentlich ist das mit dem Bestattungsunternehmen keine so große Überraschung. Der Tod ist fast ein Lebensthema für ihn. Schon als Teenager dachte er viel über das Sterben und das Leben nach. Er habe sich immer leichtgetan, Worte bei Trauerfeiern zu finden. Seine Partnerin Anita Schillinger hat erlebt, wie Alof ihrem Mann beistand, als dessen Vater im Sterben lag. „Das kann er unheimlich gut.“

Stephan Alof bricht gerne Erwartungen. Er legt auch mal spontan ein Manuskript zur Seite und improvisiert oder duzt eine Trauergemeinde, wenn er das Gefühl hat, dass dieser Ton besser passt. „Ich will keinen Lebenslauf erzählen“, sagt er. Lieber redet er darüber, was Menschen ausgemacht hat. Das Leben bleibt einen Moment stehen, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Aber es muss auch weitergehen. Dieser Appell steckt in jeder seiner Trauerreden.

Für ihn ist der Tod nichts Bedrückendes – sondern Teil des Lebens. Er selbst hatte vor vier Jahren eine kurze Begegnung mit dem Tod. Ein Herzinfarkt. Er hörte die Stimmen der Sanitäter, die um sein Leben kämpften. Und fühlte unendliche Leichtigkeit. Wie in der Werbung, in der eine Waschmittelflasche in ein weiches Handtuch fällt. Alof redet von seinem „Lenor-Moment“, wenn er davon erzählt. Diese Nacht hat ihm die Angst vom Sterben genommen. Denn als er in den 90ern Palliativ-Patienten begleitet hat, hat er viele Menschen leiden sehen. Er ist dankbar, dass das heute nicht mehr so sein muss, seit in Deutschland ein assistierter Suizid möglich ist. Der Tod muss viel mehr im Leben stattfinden, sagt er. Noch hat er keinen Leichenwagen für sein Bestattungsunternehmen. Aber es wird ein Fahrzeug werden, in dem der Sarg zu sehen ist, das steht fest.

Stephan Alof ist selten bedrückt, wenn er nach einer Beerdigung einen Friedhof verlässt. Vielleicht, weil er oft spürt, dass er einen guten Job gemacht hat, vermutet er. Vielleicht auch, weil der Tod ihn immer daran erinnert, dass man mit einer gewissen Leichtigkeit leben sollte. „Leben ist das, was wir draus machen“, sagt er. „Wir haben‘s in der Hand.“

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