Seit die Motoren kaputt sind, muss der Ebersberger Pfarrer Josef Riedl zweimal täglich in den Kirchturm hinauf steigen und die Gewichte selbst hochkurbeln. © Stefan Rossmann
Ebersberg – Tick-Tack: Seit etwa 250 Jahren arbeitet die Kirchturmuhr in St. Sebastian in Ebersberg gemächlich vor sich hin, wenn auch seit ein paar Monaten nicht mehr ganz so selbstständig. Denn die Motoren aus den 60er-Jahren haben den Geist aufgegeben. Die Folge: Steigen der Stadtpfarrer Josef Riedl oder der Mesnernicht zweimal täglich die insgesamt 129 Stufen in den etwa 70Meter hohen Kirchturm hinauf, um an der Uhr zu drehen, bleibt die Zeit stehen. Am Tag der Zeitumstellung müssen sie sogar öfter hoch.
Überhaupt scheint im Dachstuhl der St. Sebastian die Zeit stehen geblieben zu sein. An den Wänden hängen Spinnenweben, Staubfäden hangeln sich von den Holzstufen herab. Die schweren Türen quietschen. Lange, knarzende Bretter führen in Richtung Kirchturm. Ein schmaler, niedriger Durchgang aus Stein grenzt ihn vom Dachstuhl ab.
„Das sind der Stundenschlag, das Uhrwerk und der Viertelstundenschlag“, sagt Riedl und zeigt, im Turm angekommen, auf drei 70 Kilogramm schwere Gewichte. Nebeneinander hängen sie an Seilen in die Turmstube herab. Mal mehr, mal weniger tief. Je nach Tageszeit. „Wenn das Seil komplett abgewickelt ist, ist kein Zug mehr drauf, weil die Gewichte auf der Decke vom Chorprobenraum liegen würden. Dann bleibt die Uhr stehen“, erklärt Riedl.
Zwei Stockwerke höher ruht das Herzstück der Uhr mit seinen Zahnrädern und der schmiedeeisernen Verzierung. Die Seile von den Gewichten sind dort um Walzen gewickelt. Eigentlich sorgen Motoren dafür, dass sie nach oben gezogen werden. Doch da diese nicht mehr funktionieren, kurbeln der Pfarrer oder der Mesner die Gewichte mit einem Werkzeug nach oben – und zwar circa sieben bis siebeneinhalb Meter. Gekurbelt wird gegen acht Uhr morgens und 20 Uhr abends, begleitet von einem steten Hintergrundrauschen: Tick-Tack.
Am Sonntag, wenn die Zeit von Sommer- auf Winterzeit umgestellt wird, reicht es nicht aus, zweimal nach oben zu klettern. Damit die Uhr eine Stunde zurückgestellt wird, hält Riedl das Pendel ganz einfach an. Und eine Stunde später steigt er nochmal hinauf, um das Pendel wieder anzuschieben. „Es ist ganz simpel“, sagt Pfarrer Riedl.
Auch das Wetter beeinflusse die Zeit, sagt er. Denn der Pendelstab ist aus Metall. „Metall in der Länge ist furchtbar temperaturempfindlich.“ Sobald die Außentemperatur sinkt, wird der Stab kürzer, denn das Material zieht sich zusammen. Dadurch tickt die Uhr schneller. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Eine Schraube, mit der das Gewicht ausgeglichen werden kann. „Die Temperaturänderungen von draußen kommen mit einer Verzögerung von zwei bis drei Tagen innen bei der Uhr an.“
Die Uhr wurde bereits im Jahr 1784 in den Turm in Ebersberg eingebaut. „Alles an der Uhr ist Maßarbeit“, sagt Riedl. Kurz nach einem Klosterbrand, bei dem die Flammen auf den Dachstuhl der Kirche übergriffen, musste die alte ersetzt werden. Vom Uhrwerk führt eine Treppe hoch zu den Zeigern und den Ziffernblättern, oben drüber sind die Glocken, dann kommt die Turmhaube.
Hin und wieder bietet die Kirche Führungen für Kinder an. „Nicht alle trauen sich ganz nach oben, aber die meisten“, sagt Riedl, der bereits seit 2002 Pfarrer in Ebersberg ist. Im April 2026 geht er in den Ruhestand. Zwar werde er die Kurblerei nicht vermissen, aber: „Die Uhr wird mir fehlen.“