Fünf Tote und die Suche nach Schuldigen

von Redaktion

Für Staatsanwaltschaft steht fest: Schadhafte Betonschwellen sind Ursache des Zugunglücks

Die Bergung der Waggons nach dem Zugunglück im Juni 2022. © Angelika Warmuth/dpa

München – Sind schadhafte Betonschwellen die alleinige Ursache des katastrophalen Bahnunglücks in Burgrain (Kreis Garmisch-Partenkirchen)? Und hätte das Unglück der Regionalbahn am 3. Juni 2022 mit fünf Toten und 72 Verletzten durch das entschlossene Eingreifen zweier Bahnbediensteter verhindert werden können? Diese Fragen werden im Mittelpunkt des Prozesses stehen, der am Dienstag am Landgericht München II beginnt. Mit über 60 Zeugen und bis jetzt 19 Verhandlungstagen bis in den Januar ist es ein Mammutverfahren.

Zum Unglück kursieren zahlreiche Theorien. Der Bahndamm war zu steil und durchnässt, es fehlten Fangschienen, die den Zug nach dem Entgleisen im Gleisbett gehalten hätten, heißt es. Womöglich wäre der Doppelstockzug in der Kurve auch nicht entgleist, wenn der Zug schlicht von einer Lok gezogen statt geschoben worden wäre. Die Deutsche Bahn hat nach dem Unglück ein eigenes Gutachten zur Unglücksursache erstellt – dass viele Bahnstrecken jahrelang verlotterten und niemand etwas dagegen unternahm, wurde einer Reihe von Bahnmanagern der damaligen DB Netz zum Verhängnis: Sie mussten gehen. Doch auf der Anklagebank sitzen sie nicht.

Die Staatsanwaltschaft hat sich festgelegt: Durch sogenannten Betonfraß geschädigte Gleisschwellen sind für sie der ausschlaggebende Unfallgrund. Der rechtzeitige Austausch hätte demnach das Unglück verhindert – und dafür sollen sich nun ein Fahrdienstleiter (heute 66 Jahre alt) und der für den Streckenzustand verantwortliche DB-Bezirksleiter „Fahrbahn“ (58) verantworten. Gegen einen dritten Bahn-Mitarbeiter war das Verfahren gegen Zahlung von 4000 Euro eingestellt worden.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Fahrdienstleiter M. laut Anklageschrift vor, er wäre verpflichtet gewesen, die Strecke einen Tag vor dem Unglück zu sperren. Der Grund: M. hatte am Vorabend des Unglücks gegen 20.15 Uhr von einem Lokführer einen Hinweis erhalten, dass es an der späteren Unglücksstelle eine Unebenheit am Gleis gebe – „so ein Schlenkerer“. „Da hupft der Zug richtig“, gab der Lokführer per Funk weiter. Der Fahrdienstleiter sagte zu, die Meldung weiterzugeben, tat dies aber nicht. Reicht das, um ihn zu verurteilen? Es gibt ein Gutachten der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, das ihn zumindest indirekt entlastet. Es sei fraglich, ob eine Weitergabe der Warnmeldung angesichts der langen Meldeketten bei der Bahn das Unglück nur einen Tag später verhindert hätte. Noch dazu fuhren etliche weitere Züge noch über die Stelle, ohne dass die Lokführer über eine Unregelmäßigkeit am Gleis informierten.

Technisch komplex dürfte die Verhandlung vor allem gegen den zweiten Angeklagten S. werden, der für den Netzbezirk Murnau zuständig war. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, er habe Austauschfristen zum Wechsel beschädigter Gleisschwellen nicht eingehalten, obwohl Mängel an der Strecke schon seit 2020 in Bahnprotokollen Thema waren. Zumindest hätten Langsamfahrstellen angeordnet werden müssen – statt maximal 100 km/h hätte der Zug dann nur 20 km/h fahren dürfen. Allerdings nennen die Ankläger in der Anklageschrift auch Punkte, die den Angeklagten entlasten könnten. Es fehlten Bautrupps, auch ließ der Angeklagte zwei Monate vor dem Unglück seinen Warnhinweis „so lange können wir nicht mehr warten“ (mit der Reparatur der Strecke) in einen Vermerk aufnehmen.

Unter den Verletzten waren auch zahlreiche Kinder, die mit dem Zug nach Schulschluss nach Hause fahren wollten, ehe er um 12.15 Uhr entgleiste. Ein 13-Jähriger starb, zudem zwei Frauen aus der Ukraine. Viele Verletzte oder Angehörige haben Strafantrag gestellt, zwei sind Nebenkläger. Parallel laufen zivilrechtliche Verfahren gegen die Bahn, die die Verletzten angeblich teilweise nur mit einigen hundert Euro abgefunden hat.DIRK WALTER

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