„Der Huber Hans auch in Russland geblieben“, heißt es auf einer bayerischen Votivtafel. © PRIVAT
Wolfgang Fischer (geboren 1788) mit Frau Anna – das einzig bekannte Foto eines (überlebenden) bayerischen Soldaten. © Florian Hammerich
Rückzug der Grande Armée – Eine Farblithographie nach Vorlage des Künstlers Henri Grobet (Paris). © akg-images/pa
München – Mit grob geschätzt 500 000 Soldaten zog Napoleon im Jahr 1812 gegen Zar Alexander nach Moskau. Mit dabei, gezwungen von ihrem König Max I. Joseph, 30 000 bis 35 000 Bayern. Nur ein Bruchteil der Soldaten, einige tausend vielleicht, überlebte die Strapazen des Feldzugs der Grande Armée, der in einem Desaster endete. Davon zeugen heute noch Votivtafeln in vielen Kirchen.
Nun haben Forscher des französischen Instituts Pasteur die Todesursachen einiger Soldaten untersucht. Sie nahmen Zahnproben von 13 Skeletten, die 2001 in einem Massengrab im litauischen Vilnius gefunden worden waren. Das Massengrab, bei Arbeiten für ein Neubaugebiet entdeckt, enthielt die Überreste von mehr als 3000 Soldaten. „Darunter waren auch bayerische Soldaten, das zeigen Uniformteile, die gefunden wurden“, sagt der Historiker und Napoleon-Kenner Thomas Schuler. Ihr damaliger Oberbefehlshaber Fürst Wrede, dessen Denkmal in der Münchner Feldherrnhalle steht, hatte das bereits auf geschätzt 3800 bayerische Soldaten zusammengeschmolzene Korps am 9. Dezember 1812 nach Vilnius geführt, letzte Kämpfe am Niemen brachten wenige Tage später erneut starke Verluste. Und dazu kamen noch die Krankheiten.
Im Journal „Current Biology“ berichten die Mediziner des Instituts Pasteur nun über die DNA-Sequenzierung von Zähnen der überraschend gut erhaltenen Leichen. Sie macht es möglich, Krankheiten zu benennen, an denen die Soldaten litten und möglicherweise auch starben. Denn auffällig an den Skeletten war: Sie wiesen keine Kriegsverletzungen auf. Kälte und Seuchen rafften sie beim Rückzug aus Moskau dahin, so die Annahme der Historiker. Gemeinhin wurde angenommen, dass eine der hauptsächlichen Todesursachen Typhus war. Es wird durch Läuse übertragen. Doch bei vier der 13 untersuchten Zahnproben fand sich keine Typhuserkrankung, stattdessen aber Bakterien des Typs Salmonella enterica, das Paratyphus auslöst. Übertragen wird es zum Beispiel durch mit Kot verschmutztes Wasser. Es führt zu Durchfall, Bauchschmerzen, Erbrechen und Fieber, verläuft aber etwas milder als Typhus.
Paratyphus ist heute mit Antibiotika (die es vor 200 Jahren nicht gab) ebenso gut behandelbar wie das zweite Bakterium, das die Mediziner unter der Leitung von Nicolás Rascovanan an den Zähnen einer Leiche nachweisen konnten: Borrelia recurrentis führt zu sogenanntem Rückfallfieber, es wird durch Läuse übertragen, Symptome sind Durchfall, Fieber bis zu 40 Grad und schwere Muskelerkrankungen. Auch der Herzmuskel kann angegriffen werden.
Kritikpunkt: Datenbasis ist sehr gering
Aufgrund der schmalen Datenbasis hält Historiker Schuler die Aussagekraft der Ergebnisse für nicht sehr hoch. Es sei „unseriös“, nun darauf zu schließen, dass die beiden Erkrankungen die Haupttodesursachen gewesen seien. Dafür müsste die Zahl der Proben sehr viel höher sein. Das geben die Forscher auch offen zu. Sie gehen von vielen, sich „überlappenden“ Infektionen aus. Speziell die Rolle von Typhus sei aber weiterhin unklar. Letztlich war der ganze Feldzug ein einziges Desaster, ausgelöst durch strategische Fehlentscheidungen, für die Napoleon und seine Generäle verantwortlich waren. Vor allem die Schwierigkeit der Versorgung wurde völlig unterschätzt – die Soldaten sollten aus dem Land leben, „fouragieren“ nannte man den Raub von Lebensmitteln aus den Dörfern. Doch auch das reichte nicht zum Überleben – wie die Studie jetzt eindrucksvoll zeigt.DIRK WALTER