„Syrien ist noch kein sicheres Land“

von Redaktion

Der Münchner Verein Zeltschule unterstützt Flüchtlinge bei der Rückkehr in ihre Heimat

Jacqueline Flory mit Kindern in einem Flüchtlingscamp im Libanon.

Mit Lkw-Konvois organisieren die Helfer die Rückkehr der Syrer in die Heimat. © Zeltschule (2)

Seit neun Jahren fliegt Jacqueline Flory immer wieder nach Syrien und in den Libanon. Die Münchnerin hat den Verein Zeltschule gegründet, der Schulen baut und die Menschen in den Krisengebieten mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten versorgt. Aktuell organisieren die Helfer die Rückkehr vieler Syrer in ihre Heimat. Doch das Land ist trotz der Machtübernahme der Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS) nicht sicher – und die Hilfe noch immer bitter nötig.

Wie hat sich die Situation in den Flüchtlingscamps durch den Machtwechsel in Syrien verändert?

Völlig. Es war für die Geflüchteten ein Freudentag, als das Assad-Regime gestürzt wurde. Obwohl allen klar ist, dass wir von einer wirklichen Demokratie weit entfernt sind. Das neue Regime hat ein großes Interesse daran, eine neue Generation auszubilden, die aktiv an der Gesellschaft teilnimmt.

Was hält noch so viele Menschen davon ab, in ihre Heimat zurückzukehren?

Viele möchten es – aber wir in Deutschland stellen uns das einfacher vor, als es ist. Einige der Syrer im Libanon haben 13 Jahre in Zelten ohne Strom, Wasser und Besitz gelebt. Das wenige, das sie besitzen, wollen sie mitnehmen, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Schließlich wissen sie, dass es dort keinen Wohnraum gibt. Aber eine Familie braucht selbst für ein Zelt und ein paar Matratzen ein Auto. Selbst wenn sie das leihen könnten, hätten sie nicht das Geld für Benzin. Wir haben angefangen, ganze Camps umzuziehen. Wir laden die Zelte auf Lkw und fahren sie in Regionen in Syrien, wo wir bereits eine Schule eröffnet haben. Um die Bildung der Kinder nahtlos fortsetzen zu können. Bevor wir die Zeltstädte in Syrien wieder aufbauen können, müssen wir die Region dort nach Minen absuchen. Geschätzt befinden sich eine Million Land- und Tretminen in der Erde.

Wie groß ist der Druck im Libanon, dass die Syrer in ihre Heimat zurückkehren?

Der Druck wird größer. Die meisten haben den Wunsch, aktiv an einem neuen Syrien mitzuarbeiten. Dafür haben wir für die Kinder Schulen geschaffen. Für sie wird es die größte Umstellung. Viele sind in den Camps geboren und haben sie nie verlassen. Sie konnten sich noch nie frei bewegen.

Kommen auch neue Flüchtlinge im Libanon an?

Ja, jeden Tag. Vor allem Alewiten. Zuvor lebten in den Camps fast nur Sunniten – das war die Bevölkerungsgruppe, die unter Assad am meisten entrechtet wurde. Jetzt hat Syrien eine sunnitische Regierung und die Alewiten befürchten, dass es ihnen ähnlich ergeht wie zuvor den Sunniten. Seitens der Regierung kann ich das nicht beobachten. Aber in der Bevölkerung gibt es eine tiefe Entzweiung und auch Aggressionen zwischen diesen Bevölkerungsgruppen. Syrien ist noch weit entfernt davon, ein friedliches Land zu sein. Es gibt auch immer noch Angriffe aus Israel. Die, die zurückkehren, wissen: Die Gefahr ist nicht vorbei.

Arbeitet Ihr Verein mit dem neuen Regime zusammen?

Eine Zusammenarbeit ist es nicht. Wir führen unsere Schulen unabhängig. Aber das alte Regime hätte uns nie informiert, wenn es leer stehende Gebäude gibt, in denen Räume noch so intakt sind, dass wir sie als Schulen nutzen können. Die HTS überlässt sie uns kostenlos. Sie würde auch gerne Schulen eröffnen. Aber die Assad-Familie hat alles, was das Land an Besitztümern hatte, mit nach Russland genommen. Und die Unterstützung aus dem Westen kommt sehr zögerlich, weil man die neuen Machthaber noch nicht einschätzen kann.

Wie steht es um die Versorgung mit Essen, Wasser und Medikamenten?

Auch das ist ein großes Problem. Viele sind auf Wasser aus dem Euphrat angewiesen. Aber darin sind Keime. Wir haben immer wieder Cholera-Ausbrüche und impfen viel. Auch um die Trinkwasserversorgung kümmern wir uns.

Wie gefährlich ist das für Sie und Ihr Team?

Die Angriffe von Israel gibt es nicht nur in Syrien, auch im Libanon. Wir rechnen damit, dass sie wieder zunehmen werden. Und auch die Landminen sind natürlich auch für uns eine Gefahr. Und sie wird noch Jahre bestehen bleiben.

Gibt es in Deutschland viele Syrer, die gerne in ihre Heimat zurückkehren möchten?

Ja, uns erreichen viele Anfragen von Menschen, die wissen möchten, ob ihre Kinder in Syrien einen Schulplatz bekommen. Aber sie haben dasselbe Problem wie die Syrer im Libanon: Die Rückkehr ist teuer und eine Reise ins Ungewisse. Keiner weiß, wie lange es dauert, bis man dort für die Familie wieder ein Dach über dem Kopf hat. Syrien ist noch kein sicheres Land, das muss auch die deutsche Politik akzeptieren.

Was treibt Sie an bei Ihrem Einsatz für Syrien?

Die Flüchtlinge sind für mich keine anonyme Gruppe. Es sind Menschen, die ich seit zehn Jahren begleite. Als ich angefangen habe, war ich schockiert, wie wenig Hilfe es für die Menschen in Syrien und im Libanon gibt. Das hat sich bis heute kaum verändert.

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