Ärzte im OP: Im stressigen Klinikalltag kommt es manchmal zu Behandlungsfehlern.
Wertach – Januar 2020, Wertach im Oberallgäu. Helmut Müller leidet seit Tagen an extremen Bauchschmerzen. Sie sind so schlimm, dass er abends ins Krankenhaus fährt. Der Arzt macht ein Röntgenbild. Müllers Blutwerte zeigen eine Entzündung. Der 48-jährige Straßenwärter wird stationär aufgenommen, er hat heftige Schmerzen. Ein Ultraschall am nächsten Tag lässt die Ärzte auf eine akute Gallenblasenentzündung schließen – Müller wird sofort operiert.
Ein Eingriff mit gravierenden Folgen: Zunächst entnehmen die Ärzte die entzündete Gallenblase. Dabei bemerken sie eine Eiterspur – und aus der minimalinvasiven OP wird eine offene Bauchoperation, bei der die Ärzte die eigentliche Ursache für Müllers Leiden finden: ein potenziell lebensgefährlicher Blinddarmdurchbruch. Der Blinddarm wird sofort entfernt. Danach beginnt für Müller eine Odyssee – an der großen Wunde treten Komplikationen auf, Müller muss insgesamt drei weitere Male operiert werden, einmal acht Stunden lang.
Rund sieben Monate kann er nicht arbeiten, auch zu Hause fällt der vierfache Vater aus. Seine Frau muss sich inmitten der Pandemie alleine um die Kinder, den Haushalt und die Ferienwohnungen kümmern. Auch finanziell leidet die Familie. Müller will das nicht einfach so hinnehmen. Im Februar 2020 wendet er sich an die Patientenberatung seiner Krankenkasse, der AOK. Die beantragt ein Gutachten des Medizinischen Dienstes Bayern – das bestätigt schließlich einen groben Behandlungsfehler.
Vor der ersten OP hätten mehr Befunde erhoben werden müssen, darunter ein CT und ein Ultraschall des gesamten Bauchraumes. Weil diese nicht gemacht wurden, sei Müller unnötigerweise die Gallenblase entfernt worden. Zudem fand eine offene OP am Bauch statt, um den Blinddarm zu entfernen – ein Eingriff, der normal minimalinvasiv erfolgen kann. Dass Müller mehrere Monate arbeitsunfähig war, hätte vermieden werden können, heißt es im Gutachten. Immerhin: Mithilfe der AOK und seines Anwalts erstreitet sich Müller Schadensersatz. „Die Patientenberatung hat mir damals sehr geholfen“, sagt er. Seit 25 Jahren berät und begleitet die Kasse Versicherte zum Thema Behandlungsfehler.
Trotz Schadensersatz leidet der Wertacher bis heute an den Folgen der fehlerhaften Behandlung. Er darf nicht schwer heben, kann nicht lange sitzen, verträgt wegen der fehlenden Gallenblase keinen Alkohol und muss viele Speisen meiden. Außerdem überlegt Müller, seine Vollzeitstelle als Straßenwärter zu reduzieren – die körperliche Arbeit ist zu anstrengend. LEA SCHÜTZ