Prähistorische Pfahlstellungen an der Roseninsel im Starnberger See. © BGfU/Philipp Tanzer
Ein Archäologischer Forschungstaucher bei der Untersuchung kleiner menschengemachter Hügel im Bodensee. © BGfU/Tobias Pflederer
Feldafing/München – Sich entspannt am Seeufer sonnen – das hält Tobias Pflederer kaum aus. Dafür grübelt sein Kopf zu angestrengt, was da wohl unter der Wasseroberfläche schlummert. Immerhin taucht der 50-Jährige regelmäßig ab, in Bayerns Flüsse und Seen, in die Welt unserer Ahnen.
Seit 1997 ist Pflederer ausgebildeter Archäologischer Forschungstaucher bei der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie. Jetzt geht die Saison wieder los. „Im Winter und Frühjahr sind die Sichtverhältnisse in Bayerns Seen am besten“, sagt der Kardiologe aus Kaufbeuren, der auch einen Bachelor in Archäologie hat. Für klares Wasser nimmt er bittere Kälte in Kauf. Im Trockenanzug mit dickem Unterzieher, Maßband, Kelle und allerhand technischen Apparaten geht er auf Tauchgang. Etwa im Starnberger See rund um die Roseninsel.
Unterwasserarchäologie. Da denkt man an Galionsschiffe voller Gold, die Titanic, Atlantis. Aber Bayerns Seen sind ebenso spannend. „Hier sind nicht die weiten Tiefen interessant, eher der Flachwasserbereich von 0,3 bis vier Meter Tiefe“, erklärt Pflederer. „Der Starnberger See ist ein Unikum. Im Gegensatz zu anderen Seen in Bayern hat der Wasserpegel im Laufe der Zeit zugenommen. Woanders liegen Siedlungsreste heute unter grünen Wiesen, rund um die Roseninsel aber im Wasser.“ Ein großer Vorteil. „Im Wasser findet kein bakterieller Zerfall statt“, sagt Pflederer. „Selbst Organisches wie Stoffe, Nahrungsreste oder Seile aus der Bronze- und Steinzeit bleiben so erhalten.“
Konservatoren bräuchte dieses Unterwasser-Archiv der Menschheitsgeschichte nicht, aber ohne Forschungstaucher blieben viele Geheimnisse unserer Vorfahren vergessen. Dann wüsste heute niemand, dass die Menschen, die in den Pfahlbauten an der Roseninsel lebten, einst riesige Wassergefährte aus Eichen schnitzten. 1986 war die Entdeckung eines über 13 Meter langen Einbaums die Sensation. Genau wie die Erkenntnis, dass es sich dabei um den ältesten Einbaum Bayerns handelte. Er entstand 900 vor Christus. Damals standen zwar schon seit 1600 Jahren die Pyramiden von Gizeh, aber Rom schlüpfte erst 150 Jahre später, 753 vor Christus, aus dem Ei.
Bis ins Mittelalter waren Einbäume für Fischer die Gefährte schlechthin. 1842 waren auf dem Starnberger See noch 50 in Betrieb. Der Einbaum von der Roseninsel kann heute in den Archäologischen Staatssammlungen in München besichtigt werden. Als ältester Einbaum Bayerns aber gilt jetzt ein 3150 Jahre alter, den Pflederer und Kollegen 2018 vor Wasserburg am Bodensee bergen konnten. An der Roseninsel, die die BGfU als Teil des Unesco-Welterbes „Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen“ überwacht, konnten auch Gegenstände wie Keramik, Spinnwirtel, Reibsteinfragmente und ein bronzener Doppelangelhaken geborgen werden. Sie und Tierknochen zeigen, wie die Menschen damals arbeiteten, handelten und sich ernährten.
Die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie gibt es seit 40 Jahren. Seitdem hat sich über und unter Wasser viel verändert. Tausende Besucher zählt die Roseninsel heute im Jahr, Boote setzen Anker. Eine Gefahr für die Relikte am Grund – genau wie Sporttaucher. „Wir betreiben als Archäologen keine Schatztaucherei. Jedes Fundstück, jeder Befund soll unseren aktuellen Wissensstand erweitern“, sagt Pflederer. Sein spektakulärster Fund: ein Kupferdolch. „Er weist Ähnlichkeiten zu Dolchen aus dem Karpatenraum auf. Das zeigt, dass dorthin 3700 vor Christus wohl schon Handelswege existierten.“
Die BGfU taucht heute auch im Ausland. Indiana Jones gibt‘s nur im Film, aber Detektive müssen Unterwasserarchäologen durchaus sein. „2016 hat uns ein Fischer ein Schiffswrack im Schwarzen Meer gezeigt. Wenn man unter Wasser einen römischen Frachter erkennt, hyperventiliert man schon kurz“, erzählt Pflederer und lacht. Der war gut erhalten, vom Mannschaftsequipment bis zur Fracht. „Ein Kollege hat anhand des Füllmaterials der Amphoren die Routen dieses antiken Transporters rekonstruiert.“
Nicht nur in den Meeren dieser Welt, auch in Bayern wollen noch Rätsel gelöst werden. Etwa im Bodensee. Bei Langenargen hatten Schweizer Forscher über 160 Hügeli aus Steinen im See entdeckt. Ihre Untersuchungen zeigten, dass sie menschengemacht sind. Auf der bayerischen Seeseite hat auch die BGfU einige von 25 bisher bekannten Hügeln untersucht. „Das sind keine Siedlungsreste“, sagt Pflederer. „Alle Thesen von rituellen Kultstätten bis zur Fischfang-Anlage sind aber nach wie vor Spekulation.“ 2026 geht er diesem Geheimnis weiter auf den Grund.CORNELIA SCHRAMM