Auch diese Gewandnadel wurde restauriert.
Grabbeigabe der bajuwarischen Prinzessin.
Die bajuwarische Prinzessin aus dem sechsten Jahrhundert in ihrem Grab in Würding. Um den Hals trug sie hunderte Perlen. © Kreisarchäologie Passau
München – Der Herr, von dem Fotos auf einem Tisch im Landesamt für Denkmalpflege liegen, hat einiges mitgemacht in den 40 bis 60 Jahren, die er gelebt hat. An seinem Oberschenkelknochen hat er eine massive Scharte, wohl von einer Klinge. Auf seinem gebrochenen Schädel eine Delle – heute würden Kriminaler von „stumpfer Gewalteinwirkung“ sprechen. Ein Überfall aus dem Hinterhalt? Und zu allem Überfluss, das hat Anthropologin Chiara Girotto herausgefunden, hatte der arme Teufel starke Karies und einen Abszess am Kiefer. Immerhin war er gut genährt, gearbeitet hat er wohl nicht zu hart. Und seine Knochen verraten, dass er viel auf dem Pferd saß.
Tobias Kurz schaut sich die Skelett-Fotos des Reiters genau an. Der Bürgermeister von Bad Füssing ist zur Präsentation der Original-Grabbeigaben nach München gekommen: ein kleiner Reitersporn, Kamm, Messer, Schere und ein besonders hochwertiges Trinkgefäß aus Glas, wie man es in Bayern fast nie findet. „Ich bin beeindruckt, welche Geschichten man über die Funde erzählen kann.“ Denn als er zum ersten Mal von den Ausgrabungen gehört hat, war er nicht so begeistert.
Im Jahr 2021 wird in Würding bei Bad Füssing gebaggert, ein neues Baugebiet entsteht. Kaum sind die ersten Schaufeln ausgehoben, muss schon der Archäologe vom Landkreis Passau anrücken. Ein frühbajuwarisches Reihengräberfeld aus dem sechsten Jahrhundert, „einer der spektakulärsten Funde seit Jahrzehnten“. Baustopp. Ein ganzes Jahr dauert es, bis weiter gebaut werden kann, die Gemeinde zahlt 250 000 Euro für die Ausgrabungen.
Die erste Sensation, auf die Archäologen in Würding stoßen: eine Prinzessin aus dem sechsten Jahrhundert, verstorben mit 18 bis 25 Jahren. Auch ihre Grabbeigaben haben sie am Montag im Landesamt für Denkmalpflege ausgelegt. Ihre Entdeckung hat schon 2021 für große Aufregung gesorgt, sogar im Ausland. Auffällig ist der Schmuck, der auf eine reiche Herkunft schließen lässt. Um den Hals hatte das Frauenskelett bunte Perlen aus Glas und Edelsteinen. Restauratorin Dorothea Albert sagt, es seien mehr als 200 gefunden worden, die Farben sind zum Teil strahlend erhalten. Im Grab finden die Wissenschaftler auch eine mit Silber eingefasste Bergkristallkugel, Elfenbeinringe, eine aufwendig verzierte Almandinscheibenfibel – das ist eine Art Schnalle für Kleidung. Dass die Grabbeigaben der Dame so kostbar waren, lässt darauf schließen, dass sie ein außerordentlich hochgestelltes Mitglied des örtlichen Adels war.
Die Forscher sind begeistert – aber es wird noch besser. Denn sie entdecken etwa einen Meter unter der Erde weitere 90 Gräber, lassen 16 mit modernsten Methoden wie der Radiokarbonanalyse untersuchen. So finden sie heraus, dass jener Reiter grob um 420 nach Christus gestorben ist – „also 150 Jahre älter ist als die reiche Dame“, sagt Hauptkonservator Jochen Haberstroh. Der „Friedhof der Bajuwaren“ wurde bereits Mitte des 5. Jahrhunderts genutzt – in einer Zeit, in der die Region am Inn laut Landesamt für Denkmalpflege wohl noch unter römischer Verwaltung stand und die Bajuwaren in den Quellen noch nicht erwähnt werden. Das beweist, dass zum Ende der Römerzeit in der Gegend am Inn bereits Migration stattfand. Noch bevor die Bajuwaren hier siedelten, lebten in der Region andere nicht-römische Volksgruppen und bestatteten hier ihre Verstorbenen. Über die Zeit zwischen dem Rückzug der Römer aus der Region und dem Beginn des Mittelalters ist bislang wenig bekannt – die Funde bringen „Licht ins Dunkel“, sagt Generalkonservator Mathias Pfeil.
Der Bürgermeister von Bad Füssing hat seinen Frieden mit den Funden gemacht, inzwischen stehen auf dem Grabungsfeld Wohnhäuser. Jetzt überlegen sie, was man aus den Relikten macht. Denkbar sei ein Museum. CARINA ZIMNIOK