Sankt Martin und seine Geheimnisse

von Redaktion

Wie aus einem römischen Soldaten der Patron der Bettler und Geächteten wurde

Die Mantelteilung auf einem Gemälde. © akg-images

Die Laternen leuchten in diesen Tagen. Bei den Martinsumzügen nehmen jedes Jahr viele Kinder teil. © romrodinka/Getty

München – „Ich geh mit meiner Laterne“, singen Kinder bei Laternenumzügen rund um den 11. November. Häufig reitet ein römischer Soldat im roten Mantel voran. Sankt Martin, einer der beliebtesten Heiligen, der seinen warmen Soldatenmantel mit einem Bettler teilte, auf sein sicheres Offiziersleben verzichtete und sich als Sozialbischof mit Staat und Kirche anlegte. Was steckt hinter der Legende um sein Leben?

Wofür steht der heilige Martin?

Die Not des anderen ging dem römischen Soldaten Martin (316/17–397) über seine eigene Karriere. Buchstäblich grenzüberschreitend war er und hatte den klaren Blick für den Nächsten. Ein Christ, der im entscheidenden Moment seines Lebens barmherzig war und „an die Ränder“ ging. Der heilige Martin steht für Frieden und Solidarität, für mehr Aufmerksamkeit gegenüber Randgruppen. Er ist Patron der Bettler, der Geächteten und der Kriegsdienstverweigerer.

Warum wird der Martinstag am 11. November gefeiert?

Normalerweise ist der Todestag eines Heiligen automatisch auch sein Namenstag im Jahreskalender. Tatsächlich aber starb der heilige Martin am 8. November während eines Pfarreibesuchs im Örtchen Candes am Loire-Ufer. Damals drängten die Bürger von Tours auf die Herausgabe ihres Bischofs – doch in Candes wollte man ihn dort behalten. Am Ende entführten ihn die Bürger von Tours bei Nacht und transportierten den Leichnam den Fluss hinunter. Und überall am Ufer sprossen laut Überlieferung plötzlich weiße Blüten: der „Sommer des heiligen Martin“ mitten im November! Drei Tage später, am 11. November, fand in Tours die Beisetzung statt.

Wofür steht der Martinstag im Jahreskalender?

Der Martinstag war traditioneller Pacht- und Zahltag am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres. Es wurde geschlachtet; Gänse und frische Wurst waren in Umlauf. Ein Grund, warum Landarbeiter und Kinder um die Häuser zogen, sangen, Segen wünschten und dafür mit Naturalien belohnt wurden. Nach dem Martinstag begann die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten („Martinsquadragese“). Also wurde noch einmal ordentlich hingelangt – wie noch heute an den Tagen vor Aschermittwoch. Und das, obwohl Martin selbst, der mönchische Einsiedler und Bischof, ein ausgemachter Asket war.

Und wie wird das Schlachten der Martinsgans in der Legende erklärt?

Berichtet wird, die Bürger von Tours wollten den Einsiedler Martin als ihren Bischof haben. Unwillig, sein zurückgezogenes Leben aufzugeben, habe sich Martin im Gänsestall versteckt, sei aber von den schnatternden Gänsen verraten worden. Diesen Verrat müssen sie bis heute teuer bezahlen.

Was ist aus dem halben Mantel geworden?

Als Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte und damit Militäreigentum beschädigte, beging er eine Straftat, auch wenn damals nominell die Hälfte der Kleidung dem römischen Staat und die andere dem Soldaten selbst gehörte. Heute gilt der halbe Mantel als ein Zeichen christlicher Barmherzigkeit. Im spätantiken Latein hieß der mantelartige Umhang „cappa“. Die angebliche Cappa des heiligen Martin war eine der bedeutendsten Reliquien des Reiches. Zu seiner Bewachung wurden eigens Geistliche abgestellt, sogenannte Kapellane. Sie betreuten auch die jeweilige „Kapelle“; also jene Gotteshäuser, in denen die Cappa aufbewahrt wurde. Bis heute ist ein „Kaplan“ ein Geistlicher für besondere Aufgaben und die „Kapelle“ ein Gotteshaus ohne unmittelbare Zuweisung für die Pfarrseelsorge. Oder aber eine Gruppe von Musikanten, die ursprünglich wohl für die liturgische Gestaltung von Gottesdiensten an der „Cappa“ zuständig waren.

Warum ist in Frankreich das Martinsbrauchtum fast völlig vergessen?

In Frankreich, wo Martin als Bischof von Tours wirkte, kennt kaum jemand mehr seine Legenden und Geschichten. Ein Grund unter anderen ist auch, dass der fromme Oberkommandierende der Westalliierten im Ersten Weltkrieg, Marschall Ferdinand Foch, das Datum der deutschen Kapitulation auf den 11. November 1918 legte, den Martinstag. Für das Bewusstsein um den heiligen Martin war das – ungewollt – ein Bärendienst. Denn bis heute ist der 11. November in Frankreich zwar ein Feiertag – aber als staatlicher „Tag des Waffenstillstands“, an dem der Gefallenen gedacht wird und nicht mehr des antiken Bischofs.

ALEXANDER BRÜGGEMANN

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