Teure Medikamente bis ins hohe Alter: Gesundheitspolitiker Hendrik Streeck stellt diese Praxis infrage – und löste damit eine hitzige Debatte aus. © Lighthaunter/Getty
München – Unser Gesundheitssystem krankt an Geldmangel. Doch der neueste Spar-Vorschlag, den CDU-Gesundheitspolitiker Hendrik Streeck gemacht hat, sorgt für Debatten. Im Kern geht es darum, ob Hochbetagte noch mit teuren Medikamenten behandelt werden sollten.
Streeck berichtete bei „Welt TV“ von den Erfahrungen seines an Lungenkrebs verstorbenen Vaters: „Es wurden die neuesten Therapien aufgefahren. Es hat nichts gebracht. Und er hat mehr dort ausgegeben als je in seinem ganzen Leben im Gesundheitswesen.“ Streecks Schlussfolgerung: Es brauche in der medizinischen Selbstverwaltung „klarere und verbindliche Leitlinien, dass bestimmte Medikamente auch nicht immer ausprobiert werden sollten – es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“.
Diese Äußerungen haben eine Debatte ausgelöst. „Unser Staat ist verpflichtet, eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle Menschen vorzuhalten, ohne dabei nach dem Alter oder anderen potenziellen Auswahlkriterien zu fragen. Abgestuften Lebensschutz darf es nicht geben!“, sagt Susanne Breit-Keßler, Vorsitzende des Bayerischen Ethikrats und frühere evangelische Regionalbischöfin.
Elisabeth Robles Salgado vom Münchner Seniorenbeirat findet: „Es geht nicht, dass man Menschen aufgrund des Alters eine medizinisch sinnvolle Behandlung verweigert.“ Doch als ehemalige Leiterin des Münchner Alten- und Service-Zentrums hat sie auch die Erfahrung gemacht, dass eine Lebensverlängerung nicht immer um jeden Preis richtig ist. Eine Patientenverfügung sei wichtig. Der Medizinethiker Georg Marckmann weist darauf hin, dass durch vorausschauende Behandlungsplanung Kosten gespart werden können. „Studien geben Hinweise darauf, dass man damit auch finanzielle Ressourcen durch ungewollte Krankenhausaufenthalte einsparen kann. Das erfolgt aber nicht pauschal, wie von Streeck offenbar gefordert, um bei allen älteren Menschen zu sparen, sondern im Interesse der Betroffenen, die selbst der Akutmedizin Grenzen setzen.“
Doch es gibt auch Stimmen, die Streecks Vorstoß nachvollziehen können. „Das Gesundheitswesen verfügt nicht über unlimitierte Ressourcen“, sagt der Münchner Orthopäde und Unfallchirurg Dominik Pförringer. Es sei aus ärztlicher Perspektive sinnvoll zu evaluieren, was wer brauche und dabei die realistischen Genesungschancen sowie das biologische Alter in die Überlegungen miteinzubeziehen.
Der Münchner Mediziner Markus Frühwein fordert, die Diskussion auf breitere Füße zu stellen. „Wenn wir als Gesellschaft der Meinung sind, die medizinischen Möglichkeiten aus Kostengründen nicht uneingeschränkt zur Verfügung stellen zu wollen, muss man einen ethischen Grundsatz finden.“ So einen Handlungsfaden hätten andere Länder bereits gefunden. Auf die Komplexität des Themas verweist der LMU-Professor und katholische Theologe Markus Vogt: „Streeck spricht ein ethisch und rechtlich höchst heikles Dilemma an: Die Gesundheitskosten in den letzten Lebensjahren sind oft unverhältnismäßig hoch und dienen keineswegs immer dem Wohl der Patientinnen und Patienten, sondern nicht selten eher der Verlängerung des Leids. Wenn es jedoch um Leben und Tod geht, können die medizinischen Möglichkeiten schon aus menschenrechtlichen Gründen nicht einfach vorenthalten werden“, findet der Sozialethiker. Letztlich brauche es einen Kulturwandel, der den Tod als unvermeidlichen Teil des Lebens versteht und nicht als um jeden Preis zu bekämpfende Niederlage.
Der Arzt und Politiker Stephan Pilsinger (CSU) versteht den Vorstoß „als Anstoß für eine Diskussion“. Und: „Wir müssen uns aber schon die Frage stellen, in welchen individuellen Fällen die Abgabe hochpreisiger Medikamente, vor allem im Rahmen einer Individualtherapie, medizinisch noch Sinn macht, wenn diejenige Person ohnehin kaum Hoffnung auf vollkommene Heilung hat und sehr betagt ist. Das muss dann in jedem Einzelfall ein Arzt entscheiden.“ DAP, CM