Freiheit auf vier Rädern: Wie dieses Mädchen wollen immer mehr Jugendliche Microcars fahren. Mit dem AM-Schein geht das. © Imago
München – In der Erdinger Fahrschule von Karolin Englberger ist in diesen Wochen mehr los als sonst. Sehr viele Jugendliche wollen vor dem Winter noch ihren Führerschein Klasse AM machen. Damit dürfen 15-Jährige Moped oder Roller fahren, maximaler Hubraum 50 Kubikmeter, Höchstgeschwindigkeit 45 km/h. Nur: Nach der Prüfung steigen die meisten Führerschein-Neulinge nicht auf ein Zweirad um, sondern auf ein kleines Auto: „Acht von zehn fahren Microcar“, sagt Karolin Englberger.
Bis Juli 2021 durften 15-Jährige nur mit dem Mofa rumzockeln, 25 Stundenkilometer. Seit der Neuregelung können Jugendliche den Führerschein Klasse AM schon mit 15 machen. Und damit dürfen sie auch „vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge“ steuern: Micro- oder Minicars. Die gibt es seit Jahrzehnten, der Preis geht bei etwa 10 000 Euro für einen Neuwagen los. Doch jetzt entdeckt die Jugend, vor allem auf dem Land, die kleinen Autos für sich.
Karolin Englberger sagt: „Das hat sich in diesem Jahr noch mal verstärkt.“ Auch Martin Mohl, Chef eines Autohauses in Bad Feilnbach (Kreis Rosenheim), stellt den Trend fest. Auf seiner Internetseite steht: „Endlich eingetroffen, unsere lang ersehnten Lieferungen der Neuwagen!“ Darunter Fotos von einem Sattelschlepper voller Microcars vom französischen Hersteller Ligier. Mohl sagt: „Wir kriegen die Fahrzeuge kaum noch her.“ Die Zielgruppe sei gemischt, aber die meisten Kunden sind Jugendliche – beziehungsweise ihre Eltern. Im Jahr verkauft er eine dreistellige Anzahl.
Vor allem auf dem Land, wo es keine S-Bahn und wenig Busse gibt, verspricht ein eigenes Auto Unabhängigkeit. In der Freistunde schnell mal heimfahren? Die Freundin besuchen ohne Mama-Taxi? Zum Sport fahren und auch bei Regen trocken heimkommen? Mit Microcars bekommen Jugendliche Freiheit und Komfort. Nur: Sind Microcars sicher?
Der ADAC bewertet die Fahrzeuge in puncto Sicherheit „ambivalent“, sagt ein Sprecher. Verglichen mit Rollern und Mopeds bieten sie laut ADAC Vorteile, zum Beispiel Schutz vor Wind und Regen. Auch der Dreipunktgurt schütze vor den größten Folgen kleinerer Unfälle. Problematisch hingegen sei es, dass es keine gesetzlichen Sicherheitsanforderungen gebe: Während normale Autos mit ABS, Airbags und ESP ausgerüstet sein müssen, gebe es diese bei den Leichtkraftfahrzeugen teils nicht einmal gegen Aufpreis. Der ADAC fordert vom Gesetzgeber daher verbindliche Mindestsicherheitsanforderungen. Ein weiteres Problem sei die Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h. Da die Fahrzeuge vor allem nachts aus größerer Distanz wie ein kleines Auto scheinen, unterschätzen andere Verkehrsteilnehmer auf Landstraßen schnell die geringe Geschwindigkeit. „Da kann es zu gefährlichen Situationen kommen“, warnt der ADAC. Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat DVR kritisiert die minimalen Sicherheitsstandards. Da die Silhouette von außen kaum von Pkw zu unterscheiden sei, werde ein „trügerisches Sicherheitsgefühl vermittelt“, sagt DVR-Präsident Manfred Wirsch. Nicht einmal TÜV ist nötig, „sodass technische Mängel oft unentdeckt bleiben“.
Belastbare Unfallzahlen gibt es laut DVR nicht. Anfang Oktober kam es bei Rottenbuch (Kreis Weilheim-Schongau) zu einem schweren Unfall: Eine 15-Jährige war mit einem Microcar unterwegs, sie übersah ein anderes Auto. Bei dem Zusammenstoß wurde das Mädchen schwer verletzt. Viele Eltern, die über die Anschaffung eines Microcars nachdenken, sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder. Martin Mohl hat in seinem Autohaus deshalb den nackten Rahmen eines verunfallten Microcars stehen: um zu zeigen, wie stabil der Rahmen seines Herstellers ist.
Doch auch der Führerschein hat Tücken. Denn die Jugendlichen absolvieren die Fahrstunden ausschließlich auf einem Zweirad. „Microcars sind nicht als Prüfungsfahrzeug zugelassen“, sagt Karolin Englberger. „Das ist nicht ideal.“ Sie bietet einen Fahrsimulator an, mit dem Fahrten mit dem Microcar geübt werden können. Nur: Die Kosten kommen zu dem Grundpreis dazu – viele sparen sich das. Im Schnitt kostet der AM-Schein inklusive einer Fahrstunde etwa 1350 Euro.
Wie viele Microcars in Bayern unterwegs sind, ist unbekannt. Da sie überwiegend mit Versicherungskennzeichen zugelassen werden, erhebt das Kraftfahrtbundesamt keine Zahlen. Beim Gesamtverband der Versicherungswirtschaft weiß man nur, dass 2023 bundesweit rund 32 000 Microcars versichert waren. Inzwischen dürften es deutlich mehr sein. C. ZIMNIOK