Der tragische Held vom Friaul

von Redaktion

Erdrutsch in Norditalien: 32-jähriger Oberbayer stirbt, als er eine Seniorin retten will

Die Toten Quirin K. und Guerrina S. beim Tanzen. © ROPI

Mit Schlauchbooten sind die Einsatzkräfte in dem überschwemmten Dorf unterwegs. © Michela Porta/dpa

Schlamm, Schutt und Trümmer: Italienische Einsatzkräfte in dem zerstörten Dorf Brazzano di Cormons im Friaul. © Vigili del Fuoco

Brazzano di Cormons – Der Regen prasselte im norditalienischen Friaul schon seit Tagen nieder. Bäche gingen über die Ufer, Straßen wurden überschwemmt, Keller liefen voll. Auch im Dorf Brazzano di Cormons, das unterhalb des Berges San Giorgio liegt, gingen die Leute nur dann vor die Tür, wenn sie mussten. Wenigstens gab es Lebensmittel und Kulinarik im Alimentari von Quirin K. (32), einem Münchner, der mit seiner Partnerin das Geschäft „Buon Sapore“ im Februar wiedereröffnete – zur großen Freude der Dorfbewohner, die Sorge hatten, es würde für immer leer stehen. Doch der Regen wollte nicht aufhören, eine Katastrophe bahnte sich an. Und schließlich traf Quirin binnen Sekunden eine selbstlose Entscheidung, die ihn aber das Leben kostete.

Am frühen Montagmorgen wälzten sich gegen 5 Uhr Schlammmassen nach unten, ein Erdrutsch hielt auf das Dorf zu. Dort standen die Gassen unter Wasser. Quirin und seine Ehefrau hatten sich schon in Sicherheit gebracht, weil sie eine Gefahr ahnten. Doch der Oberbayer kehrte zurück, um Nachbarn beizustehen. Bei einer Frau, deren Haus überflutet war, gelang dies: „Quirin klopfte an ihrer Tür, er drängte sie zur Flucht“, sagte deren Bruder gegenüber dem „Messaggero“. „Sie rannte im Schlafanzug und barfuß hinaus und war in Sicherheit.“ Quirin aber stürzte sich wieder in die braune Brühe, um sich zu einer weiteren Nachbarin durchzukämpfen – zum Haus der 83-jährigen Guerrina S., deren Anwesen vom Wasser eingekesselt war.

Dort kam es zur Katastrophe: Eine Schlammlawine erwischte drei Häuser – meterhoch Dreck, Schlamm und Trümmer. Quirin wurde vom Erdrutsch überrascht. Der Weingutbesitzer Nicola Manferrari sagte: „Er hat noch versucht, die Tür aufzubrechen.“ Seit den dramatischen Sekunden galten beide als vermisst – Quirin und Guerrina. Am Montagabend wurden beide tot aufgefunden, bis dahin hatten alle noch auf ein glückliches Ende gehofft. „Er ist großzügig und liebt das Dorf“, wurde der 32-Jährige beschrieben. Alessandro, ein ehemaliger Carabinieri, sagte: „Es überrascht mich nicht, dass er so selbstlos versucht hat, die Frau zu retten. Es lag in seiner Natur.“ Vor der Katastrophe hatte der Münchner noch ein Video gedreht, das die Auswirkungen der Unwetter in seinem Haus und draußen zeigte. Den Bildern zufolge war die Treppe, die Häuser von der Dorfkirche trennt, völlig überschwemmt.

Die Trauer um Guerrina und Quirin lähmt die Dorfbewohner, mit denen sich der Münchner tief verbunden empfunden hatte. So hatte er bei der Eröffnung des Alimentari gesagt: „In meiner Heimat hatte ich oft das Gefühl, dass das echte Vergnügen, die Geselligkeit und die Lebensqualität zwischen Hektik, Effizienz und Regeln verloren gegangen sind.“ Doch in Brazzano di Cormons verwirklichte er seinen Traum. Das Spezialitäten-Geschäft galt als Ort mit einladender Atmosphäre, ein Ort, der noch wärmer wirkte „durch Quirins Lächeln und Freundlichkeit“. Nun sagt eine Nachbarin über ihn: „Er war ein Held.“

MARKUS CHRISTANDL

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