Oliver Bernt mit Familie: Frederik ist zwei Monate alt, die Mädchen sind sieben und 15 Jahre.
München – Oliver Bernt und seine Frau haben sich genau durchgerechnet, wie sie die nächsten zwei Jahre über die Runden kommen. Ihr Sohn Frederik kam im September zur Welt, es ist das dritte Kind des Paares aus Coburg. „Uns war wichtig, dass Frederik zwei Jahre daheim betreut wird“, sagt Oliver Bernt, der als Ausbilder in der Versicherungsbranche arbeitet. Deshalb haben seine Frau, eine Krankenpflegerin, und er sich die Elternzeit-Monate aufgeteilt. Ganz reichen die zwar nicht für zwei Jahre – doch die Familie wollte die Monate ohne zwei Einkommen mit dem Kinderstartgeld überbrücken. Nur: Die staatliche Einmalzahlung wurde gestrichen, bevor sie eingeführt wurde.
Erst am 24. Juni hatte Ministerpräsident Markus Söder auf Instagram ein Bild von einem lächelnden Baby gepostet, dazu der Text: „Bayern schenkt dir 3000 Euro zum ersten Geburtstag.“ Vorige Woche kassierte Söder das „eigentlich geplante Kinderstartgeld“, das das bisherige bayerische Familiengeld (bis zu 7200 Euro) ersetzen sollte – die Zuschüsse gibt es nur im Freistaat. Auch das Krippengeld (bis 100 Euro pro Monat) wird es für ab 2025 geborene Kinder nicht mehr geben.
Oliver Bernt geht auf die Barrikaden: Er hat eine Petition gegen die Streichung gestartet. Das ist schon länger her, ursprünglich ging es um Kürzungspläne. Doch seit das Kinderstartgeld ganz gestrichen wurde, schnellen die Zahlen nach oben. Im Minutentakt unterschreiben wütende Eltern, bis Dienstagabend waren es gut 130 000: „Das Thema treibt viele sehr um“, sagt Bernt. Es gibt weitere, kleinere Petitionen. Insgesamt fordern bisher 186 000 Menschen den Erhalt des Kinderstartgeldes.
Oliver Bernt erwischt der Sparkurs kalt. Er merkt bei jedem Wocheneinkauf, wie teuer das Leben als Familie geworden ist. Als seine jetzt siebenjährige Tochter zur Welt kam, machte Bernt den Kühlschrank für 70 Euro voll. „Jetzt komme ich selten unter 120 Euro.“ Er glaubt, vielen bayerischen Familien droht ohne den Zuschuss Existenznot. „Die Elternzeitanträge sind ja alle schon gestellt“, sagt der 32-Jährige. Er erhalte zahlreiche Zuschriften von verzweifelten Eltern: „Die bringt das an ihre Grenzen.“ Vor allem, wenn sie hohe Mieten und hunderte Euro für einen Krippenplatz bezahlen müssten. Eine Unterzeichnerin der Petition schreibt: „Als aktuell Schwangere fühle ich mich von Hr. Söder schwer getäuscht: Wer soll mit so einer spontan agierenden Politik eine Familie planen können?“ Ein anderer schimpft: „Das Geld versickert im System und wir sind die Deppen, die es schon irgendwie gestemmt bekommen.“
Die frei gewordenen Mittel sollen laut Söder komplett in die Kitas fließen. Die steigenden Ausgaben für Personal und Betrieb bringen die Träger zunehmend in Bedrängnis. Wie genau und wofür das Geld verwendet werden soll, wird derzeit im Sozialministerium von Ulrike Scharf (CSU) ausgearbeitet. Beim Verband katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern, der knapp 2800 Kitas vertritt, hofft man auf zeitnahe Informationen. „Wir wollen wissen, wie es weitergeht“, sagt eine Sprecherin. Aber schon jetzt sei klar: „Erst einmal geht es darum, die Defizite in den Griff zu bekommen.“ Gerade in Dörfern gebe es oft nur eine einzige Kita. Wenn die Gemeinde die Kosten nicht mehr schultern kann und die Einrichtung schließt, haben Eltern ein gewaltiges Problem. Der Verband sei daher froh über die Entscheidung, das Geld für die Kitas auszugeben – „damit eine bayernweite Versorgung mit Kitas auf Dauer gewährleistet ist“. Söder hatte sich letzte Woche ähnlich geäußert: „Es nützt kein Familiengeld, wenn ich keinen Platz habe.“
Oliver Bernt lässt das nicht gelten. In Bayern liege die Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren im bundesweiten Vergleich im unteren Drittel. „Wenn ein Elternteil aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht arbeiten kann, kann das Kinderstartgeld als finanzieller Ausgleich dienen.“ Kommende Woche will er die Unterschriften mit mehreren Unterzeichnern an Söder und Scharf übergeben. Bernt hofft, dass sich beide Zeit dafür nehmen. Auf seine erste Kontaktaufnahme hat er bislang noch keine Reaktion erhalten.CARINA ZIMNIOK