DAS PORTRÄT

Eine Pilgerreise zwischen Krieg und Frieden

von Redaktion

Simon Wieser aus Frauenneuharting. © Rossmann

Wenn Simon Wieser sagt „I bin der Wieser Simon“ schmunzeln die 150 Zuhörer schon im Frauenneuhartinger Pfarrheim. Der Mann im Karohemd hat wieder eine Geschichte mitgebracht. Diesmal eine, die ihn bis nach Uschhorod geführt hat, eine Großstadt zwischen Ungarn, der Slowakei und der Ukraine. Wieser ist ein Mann der Wege. Santiago, Assisi, Trondheim: Der 72-Jährige folgt gerne den Spuren von Heiligen, selten auf einfachen Routen. Doch dieser Weg war anders. Denn sein Vater hat 1944 in derselben Region den Weltkrieg erlebt. „Eine Reise zwischen Krieg und Frieden“, sagt Wieser, dessen Reisebegleiter stets Pferdesalbe, Pilgeröl und Magnesium sind.

Dieser Weg führte ihn durch die Wachau, über die Donau, nach Tschechien, in die Slowakei. Auf 20 000 Höhenmetern. In Smolenice probierte er seinen ersten Stör mit Kaviar. Er sammelte Stempel im Pilgerausweis und Begegnungen im Herzen: einen slowakischen Namensvetter, der ihn spontan mitnahm, und andere Jakobspilger – „alle in die falsche Richtung“. Am 8. Mai erreichte Wieser die Konzentrationslager-Gedenkstätte Mauthausen, auf den Tag genau 80 Jahre nach Kriegsende. Auch an anderen Orten kam er ins Nachdenken: Die Region um Poprad, 800 Jahre lang Heimat der Karpatendeutschen, zeige, was Krieg und Vertreibung angerichtet hätten. Drei Tagesetappen später traf er auf Kosice, Anfang des östlichen Jakobwegs und letzte größere Stadt vor der Grenze zur Ukraine. In Dargov hörte er Panzer an seiner Unterkunft vorbeidonnern. Ab hier konnte er nicht mehr gehen.

Mit dem Bus gelang er nach Uschhorod, die einzige größere Stadt der Region, die bislang von Bomben verschont blieb. Und doch ist der Krieg da: Fotos von Gefallenen, Soldaten auf dem Weg an die Front, Männer ohne Gliedmaßen, der schwer verletzte Valentin aus Charkiw, der auf einer Brücke Spenden sammelt. Als Wieser heimkehrt, schlägt er das Tagebuch seines Vaters auf. „Für sechs Mann ein Brot“, schrieb der 1944. Und später: „Bei Kaschau die Grenze überquert.“ Der Sohn ist diesen Weg erneut gegangen – mit offenen Augen. MARIA WEININGER

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