KOLUMNE

Ewigkeitssonntag

von Redaktion

„Letzte Lieder“ – das ist ein Projekt des Künstlers Stefan Weiller. Er trifft sterbende Menschen im Hospiz und bringt Gespräche mit ihnen und ihren Angehörigen in eine literarische Form zum Nachlesen und -hören. Er gestaltet Solo- und Ensembleprogramme für die Bühne daraus. Texte, in denen Angst, Trauer und Verzweiflung sich widerspiegeln – aber auch unfassbare Lebensfreude, Zuversicht und Hoffnung, ein Humor, der einen schier umhaut.

Stefan Weiller erzählt von der Hoffnung auf Ewigkeit. Von den Liedern, die Sterbende lieben. Die sie noch einmal hören, dazu am liebsten singen und tanzen möchten. Mit denen sie nachempfinden, was aus ihrem Leben geworden ist. Mit Freude, manchmal mit Wehmut, mit einem Lachen oder Tränen in den Augen. Weiller urteilt nicht, wenn Schlager wie „Immer wieder sonntags“ oder „Lebt denn der alte Holzmichl noch“ gespielt werden.

Mit großer Weite des Herzens wird im Buch und auf der Bühne vorgetragen, was Menschen bewegt. „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ist das Lieblingslied einer sterbenden 60-jährigen Frau. „My yiddische Momme“ erklingt, herzzerreißende Liebeserklärung an die Mutter. Eine todkranke Frau mit 30 wünscht sich einen Tango von Astor Piazzolla. Bei „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“ für die kleine Mia im Kinderhospiz weint jeder.

Beim Weinen spürt man, dass man noch einmal alle betrauern kann, die man selber früh verloren hat. Das Weh um andere macht möglich, dem eigenen Kummer Raum zu geben. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ heißt es in einem Psalm. Das ist der Wunsch, eigene Lebenslieder singen und die der anderen mitsingen zu können, den Rhythmus der eigenen Existenz zu suchen, um nicht aus dem Takt zu geraten.

Was ist die Melodie des eigenen Lebens? Was bringt die Seele zum Klingen? Mendelssohn Bartholdys Vertonung des 91. Psalms vielleicht: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir“. Oder, wenn die romantische Ader pulsiert, Humperdincks „Abends, will ich schlafen gehn‘“. Wenn ich an die bitteren Zeiten denke, dann möchte ich aus der Matthäuspassion von Bach hören „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir!“.

So gehalten, könnte ich mich bereit machen für das Paradies, auf das ich inständig hoffe. Ob es das gibt? In dem Film „City of Angels“ begegnen sich die Herzchirurgin Maggie, gespielt von Meg Ryan, und Seth, ein Engel in Menschengestalt, dargestellt von Nicolas Cage. Die beiden, ineinander verliebt, reden über Tod und Ewigkeit. Der Himmelsbote sagt weise: „Manche Dinge sind wahr, ob man daran glaubt oder nicht.“

Ewigkeitssonntag. Es fällt nicht leicht, erwartungsvoll zu sein. Soll man trotzdem versuchen, sich von der Freude auf die Ewigkeit, von der Hoffnung anstecken zu lassen? Auf einen Gott, auf den wir im Advent wieder warten, der Mensch wird und uns ein Leben lang bis über den Tod hinaus begleitet? Ja, unbedingt, auf jeden Fall! Manche Dinge sind nämlich wahr, ob man daran glaubt oder nicht.

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