Hitler im Skizzenblock

von Redaktion

Staatsarchiv erwirbt unbekannte Zeichnungen vom Prozess gegen die Putschisten 1924

Promi: Erich Ludendorff (re.) und sein Anwalt Walter Luetgebrune.

Archiv-Mitarbeiter Benedikt Martin Ertl hat die Ausstellung konzipiert. © dw

Die Staatsanwälte Ludwig Stenglein (li.) und Hans Ehard (nach 1945 Ministerpräsident).

Der gestikulierende Hitler vor Gericht. Das Eiserne Kreuz auf der Rocktasche ist nur angedeutet. © BayHStA München (3)

München – Otto D. Franz (1871-1963) war eigentlich Anwalt in München. Aber seine Leidenschaft gehörte der Kunst: Auf den Gerichtsfluren war der gebürtige Unterfranke als „der zeichnende Anwalt“ bekannt. Auch beim Prozess gegen die Rechtsradikalen, die im November 1923 mit einem Putsch in München die junge Weimarer Republik stürzen wollten, war Franz mit Graphitstift und Skizzenblock zugegen. Er zeichnete die Putschisten, die 1924 in der Kaserne an der Blutenburgstraße vor Gericht standen: Adolf Hitler, General Erich Ludendorff und Ernst Pöhner zum Beispiel, aber auch ihre Anwälte und in den Putsch verwickelte Honoratioren wie Gustav von Kahr oder Otto von Lossow. Einige Zeichnungen wurden damals in der „Münchner Illustrierten Presse“ und einer Leipziger Zeitschrift veröffentlicht, die meisten blieben jedoch unbekannt.

Nun konnte das Staatsarchiv München den Nachlass von Franz erwerben. Nachfahren eines Ehepaares, zu dem Franz und seine Ehefrau Clara 1944 aus dem kriegszerstörten München geflohen waren, boten die Hinterlassenschaften an. „Sie kamen auf uns zu, was ein großes Glück ist“, sagt der Leiter des Staatsarchivs, Julian Holzapfl. Etwa 50 Szenen vom Hitler-Ludendorff-Prozess sind erhalten, dazu private Papiere, weitere Zeichnungen und sogar eine bemalte Gitarre. Das Staatsarchiv widmet Franz im ersten Stock eine kleine, sehenswerte Ausstellung (Schönfeldstraße 3, bis 7. März 2026, Eintritt frei, Katalog 8 Euro).

Zu sehen sind keine flüchtig hingewischten Zeichnungen, sondern gut ausgearbeitete Skizzen – Franz verstand sein Metier. Das war kein Zufall, denn er hatte nach seinem Jurastudium noch im Alter von Mitte/Ende vierzig Kurse an der Akademie der bildenden Künste in München besucht.

Die Hintergründe hat der wissenschaftliche Mitarbeiter des Archivs, Benedikt Martin Ertl, recherchiert. Nur lückenhaft kann die Biographie des zeichnenden Anwalts rekonstruiert werden. Der mit dem Titel Justizrat ausgezeichnete Anwalt, der ab 1927 eine Kanzlei am vornehmen Promenadeplatz hatte, spezialisierte sich auf Zivilsachen und vertrat viele Scheidungskläger, wahrscheinlich auch den Simplicissimus-Zeichner Olaf Gulbransson, mit dem er bekannt war. Franz war kein Promi, Tagebücher oder Ähnliches gibt es auch nicht. Sympathisierte er – wie so viele aus der Justiz – mit den Putschisten? Holzapfl und Ertl halten das nicht für ausgeschlossen. Dass Ludendorff seine Porträtzeichnung persönlich unterschrieb, macht stutzig. Ist das ein Autogramm für einen Fan? Ein weiterer Hinweis, welche Geisteshaltung in der Familie vorherrschte, ist ein Brief seines Bruders Klaus an Otto, in dem er drei Tage nach dem Putsch bemerkte, er habe sich von der „Münchner Sache“ eine „Reinigung des öffentlichen Lebens“ erhofft, „und nun scheint es wieder nichts zu sein“.

1933 schenkte Franz 21 extra ausgefertigte Zeichnungen an den neuen Machthaber Adolf Hitler. Schon ein Jahr vorher, noch vor der „Machtergreifung“, war er der NSDAP beigetreten, der er bis 1945 angehörte. Etliche Persilscheine führten dazu, dass Franz nach dem Krieg als „Mitläufer“ eingestuft wurde. Weiterhin praktizierte er als Anwalt – und blieb bis ins hohe Alter der Kunst treu, wovon ein Mitgliedsausweis für den Berufsverband Bildender Künstler zeugt. DIRK WALTER

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