„Juden aus Berlin atmen in München auf“

von Redaktion

Podiumsdiskussion zu den Jüdischen Kulturtagen – Starke und mutige Botschaften aus dem Literaturhaus

TV-Moderator Günther Jauch.

Gemeinsam gegen Antisemitismus und Hass: LMU-Vizepräsident Armin Nassehi (v.l.), Marcel Reif, Adriana Altaras, Moderator Gil Bachrach, Ludwig Spaenle, Veranstalterin Judith Epstein, Stadtrat Michael Dzeba, Phillip Peyman Engel. © Daniel Schvarcz

München – Gut 140 000 Jüdinnen und Juden leben in Deutschland. Noch. Denn viele von ihnen denken angesichts des wachsenden Antisemitismus in Deutschland darüber nach, ihre Heimat zu verlassen. Ihre Sorgen und Ängste, aber auch Hoffnungen standen im Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde im Münchner Literaturhaus im Rahmen der Jüdischen Kulturtage.

Veranstalterin Judith Epstein hatte geladen – und schon die große Zahl der erschienenen prominenten Gäste, darunter Showmaster Günther Jauch und Schauspielerin Uschi Glas, wertete Phillip Peymann Engel, Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, als starkes und ermutigendes Zeichen: „Wir Juden sind Kämpfer. Und wir müssen jetzt kämpfen. Es fängt immer mit uns Juden an, aber es hört nicht mit uns auf. Nach uns trifft es Homosexuelle, dann die Frauen. Darum brauchen wir mehr Unterstützer wie Uschi Glas und Günther Jauch, die auch öffentlich mit uns gegen den Antisemitismus kämpfen.“ Für ihn, so der Journalist, seien Bayern und München eine Art gelobtes Land, weil es hier noch ein Bürgertum und eine Staatsregierung gebe, die sich schützend vor die jüdische Gemeinde stellten. In Berlin sei das anders. „Viele Juden aus Berlin atmen in München auf. In Berlin explodiert der Judenhass geradezu. Bayern dagegen nehmen die meisten Berliner Juden – ganz anders als die deutsche Hauptstadt – als sicheren Ort wahr. Hier wird das Versprechen ,Nie wieder!‘ und ‚Antisemitismus hat bei uns keinen Platz‘ von der Politik nicht nur postuliert, sondern auch umgesetzt.“ Seine Forderung: „Nach dem 7. Oktober muss sich der Rechtsstaat viel entschlossener gegen die Feinde der Freiheit – seien es radikale Muslime oder Aktivisten aus der Linken – zur Wehr setzen und Zähne zeigen. Und Berlin muss mehr Bayern wagen!“

Auf die Frage des Moderators Gil Bachrach nach dem Gemütszustand der Juden angesichts des starken Anstiegs antisemitischer Übergriffe gab Peymann Engel eine traurige Antwort: „Der jüdischen Seele in Deutschland geht es schlecht.“

Fußball-Moderatorenlegende Marcel Reif, dessen Vater Jude war, teilt den Befund. Er rief die Bürger auf, wachsam zu sein: „Dieses Land hat ohne jüdisches Leben keine Zukunft und es verspielt gerade seine zweite Chance. Niemand kann für das verantwortlich gemacht werden, was war, aber wenn es wieder passiert, ist jeder Einzelne daran schuld. Jeder sollte versuchen, ein anständiger Mensch zu sein.“ Und warum tun es manche nicht? Armin Nassehi, Vizepräsident der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, hatte eine Antwort: „Antisemitismus ist ein Problem mit dem Selbstwert der Leute. Er hat die Funktion, mit den eigenen Unzulänglichkeiten klarzukommen. Deshalb kommt man mit Argumenten nicht gegen ihn an.“

Was aber ist der Grund dafür, dass sich viele Bürger gerade jetzt wieder offen oder hinter vorgehaltener Hand zu behaupten trauten, dass „der Jude“ schuld sei an allem möglichen Unheil? Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, verwies auf den Gazakrieg und die seither wieder in Mode gekommene Dämonisierung Israels. Für Teile der politischen Linken sei die bloße Existenz Israels unerträglich – als eine mit den USA verbündete Macht, die finanziell und militärisch überlegen sei und sich zu wehren wisse, und als vermeintlich letzte Ausformung eines westlichen Kolonialismus.

Bitter enttäuscht von den Boykotten der deutschen Kunstszene gegen israelische Wissenschaftler und Künstler zeigte sich Adriana Altaras. Wie wolle man erfahren, was in Israel gedacht werde, wenn man jeden Austausch beende? Über Gaza könne man lange streiten, aber warum höre sie in ihren Diskussionen mit Kollegen nie das Wort Hamas, wollte die 65-jährige Schauspielerin und Autorin wissen. Zugleich wandte sie sich aber dagegen, dass Juden in Deutschland resignierten. Verglichen mit anderen europäischen Ländern, etwa Italien, wo sie ihre jüdische Identität aus Vorsicht verschleiern müsse, sei die Lage hierzulande unvergleichlich besser. Mit lautem Applaus dankte das Publikum der quirligen Mutmacherin für ihre kämpferischen Schlussworte: „Deutschland ist meine Heimat, und ich gehe von hier nicht weg. Niemals.“ GEORG ANASTASIADIS

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