Auch vier Finger der rechten Hand werden gescannt.
Gesicht erfasst: eine Passagierin am EES-Terminal.
Erklärten das neue System (v.l.): die Bundespolizisten Thomas Eberl (Vize-Chef), Daniel Matthies (Projektleiter) und Stefan Bayer (Sprecher). © dw, Bundespolizei (2)
München – Die Bundespolizisten sitzen schon hinter dem Schalter im Terminal 1, Modul C 03. Um 12.20 Uhr soll ein Flieger aus Dubai ankommen, ein A380 mit mehreren hundert Fluggästen. Sie wollen nach München, klar, aber vorher werden sie einige Formalitäten zu erledigen haben. Denn seit 11. November sind am Flughafen München, vorerst nur an einigen Kontrollspuren, brandneue Scanner im Einsatz: Passagiere aus Nicht-EU-Staaten müssen ihre biometrischen Daten abgeben. Das heißt: Ihr Gesicht wird gescannt, ebenso vier Finger der rechten Hand. EES nennt sich das – Entry-Exit-System.
Big Brother am Münchner Flughafen also? Thomas Eberl, stellvertretender Chef über 1600 Bundespolizisten am Airport, lässt sich auf keine politischen Diskussionen ein. Man vollziehe Gesetze. In dem Fall sind es die EU-Verordnungen Nummer 2225 und 2226 aus dem Jahr 2017, die nun europaweit umgesetzt werden. Neben dem Münchner Flughafen wird EES auch schon am Düsseldorfer und am Frankfurter Flughafen erprobt, alle weiteren Airports werden folgen – EU-weit. Ebenso alle Polizeistationen an den EU-Außengrenzen. In München ist es Ziel, bis Ende März alle 119 Geräte aktiviert zu haben. Dann werden die jährlich circa sechs Millionen Passagiere aus Non-Schengen-Staaten lückenlos gescannt, sofern sie befristet einreisen. Also Fluggäste aus den USA, Großbritannien, China und aus arabischen oder afrikanischen Staaten.
Für die Passagiere soll sich wenig ändern. Klar, sie müssen nun an den Scannern anstehen. Sie sind an sich selbst erklärend. Man stellt sich auf eine orange markierte Fläche, scannt seinen Reisepass, dann das Gesicht und die Finger. Das geht sekundenschnell, versichert Eberl. Danach steht noch die Kontrolle am Einreiseschalter an – mit den üblichen Fragen etwa nach Zweck der Einreise und dem Rückflugticket. Neu: Der sogenannte Feuchtstempel, also der Stempel im Reisepass, entfällt.
Die EU, das wird bei einem Hintergrundgespräch klar, versteht das Projekt auch als Kampf gegen illegale Migration. Sogenannte „Overstayer“ – also Menschen, die mit begrenztem Visum einreisen und dann einfach im Land bleiben – sollen leichter erkannt und ausgewiesen werden. Denn nicht nur die Bundespolizei, vielmehr jede Polizeidienststelle hat Zugriff auf EES und kann bei einer Personenkontrolle schnell feststellen, wann jemand eingereist ist. Hauptvorteil des Systems aus Sicht von Thomas Eberl ist, dass EES sogenannten Identitätsbetrug verhindert. Da der Pass jetzt mit der Biometrie verknüpft ist, lässt sich ausschließen, dass ein Polizist bei der Passkontrolle ähnlich aussehende Personen schlicht verwechselt.
Man muss länger suchen, bis man Kritiker von EES findet – aber es gibt sie. Die Open Society Foundations etwa, eine Menschenrechtsorganisation, die der Milliardär George Soros gegründet hat, hält den Nutzen von EES beim Kampf gegen illegale Einwanderung für minimal. Tatsächlich hat EES am Flughafen München in der ersten Woche noch keinen Treffer geliefert. Allerdings am Flughafen Düsseldorf, erzählt Eberl. Der Fall kam bei einer Telefonkonferenz der Bundespolizisten zur Sprache: Erwischt wurde eine Frau mit Doppelstaatsbürgerschaft – sie hatte erst den einen Pass, bei einer neuerlichen Einreise dann den anderen Pass vorgezeigt und damit gegen Visumsfristen verstoßen. Die Biometrie kam ihr auf die Schliche. Weiterer Kritikpunkt ist indes die Datenmenge: Alle biometrischen Merkmale werden drei, je nach Fall sogar fünf Jahre gespeichert. Daten von jährlich 100 Millionen Nicht-EU-Ausländern landen jetzt auf Servern, die eine Behörde namens „eu-Lisa“ stellt.
Letzte Frage im Konferenzraum der Bundespolizei mit den obligatorischen Fahnen von Deutschland und Europa im Hintergrund und dem Bild des Bundespräsidenten an der Wand: Wird EES irgendwann für alle Passagiere kommen? „Derzeit ist das nicht vorgesehen“, sagt Eberl. Dann korrigiert er sich schnell: „Es ist nicht vorgesehen.“DIRK WALTER