DAS PORTRÄT

58 Jahre lang Schuhverkäufer

von Redaktion

Michael Röhrl aus Miesbach. © Thomas Plettenberg

Im Schuhgeschäft von Michael Röhrl riecht es nach echtem Leder. Auch nach 58 Jahren kann er von diesem Geruch nicht genug bekommen. Alles hier im Laden ist handgemacht. Sogar die Theke, die mit kleinen Satteldächern aus Holzschindeln bedeckten Regale und das Joch für die beiden Stoff-Lampenschirme über der Kasse. Alles hat Röhrl in seiner Holzwerkstatt gebaut. Nichts hat sich in den knapp sechs Jahrzehnten in seinem Schuhgeschäft verändert. Warum auch, sagt er. Ihm gefällt es so, und seinen Kunden auch. Den Kindern gefällt vor allem die Vitrine mit Modellautos. Immer wieder stehen Mädchen und Buben staunend davor. Doch lange können sie das nicht mehr. Ende des Jahres wird Röhrl sein Geschäft aus Altersgründen schließen. Er ist 72, seine Frau 70. „Ein bisserl Ruhestand wollen wir noch haben“, sagt er. Sein Sohn, seine Schwiegertochter und auch der Enkel haben beruflich andere Wege eingeschlagen und können das Geschäft nicht übernehmen. Mit dem Beruf sei es eben wie mit einem Schuh, sagt Röhrl. „Wenn er nicht passt, wird man nicht glücklich.“

Ihn hat sein Beruf immer glücklich gemacht. Er selbst hatte den Laden von seinem Vater übernommen. Der starb, als Röhrl 13 war. Doch er scheute die großen Fußstapfen nicht. 1982 übergab ihm die Mutter den Laden endgültig. Und seitdem prägt das Geschäft sein Leben. 50 Stunden pro Woche verbringen er und seine Frau hier. Ihr Schwerpunkt liegt auf hochwertigen Trachtenschuhen und Leder-Filz-Stiefeln. Aber eigentlich deckt das Sortiment vom Hausschuh bis zum Bergstiefel alles ab. Nun läuft der Räumungsverkauf.

Röhrl ist zwar kein ausgebildeter Schuster, kleinere Reparaturen führte er aber selbst durch. Wenn mehr nötig war, brachte er die Schuhe zu einem befreundeten Schuster und holte sie dort eine Woche später wieder ab – ohne Preisaufschlag. Röhrl wünscht sich, dass wieder ein traditioneller Einzelhändler in den Laden einziehen wird. Kunden wüssten ein gut sortiertes Fachgebiet zu schätzen, sagt er. Aber er weiß auch, dass vielen jungen Leuten der Mut zu diesem Schritt fehlt. Er jedenfalls hat seine Entscheidung nie bereut. SEBASTIAN GRAUVOGL

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