Die Initiative „Schulstreik gegen Wehrpflicht“ rief am Freitag bundesweit zu Protesten auf. In Giesing gingen etwa 1300 Menschen auf die Straße. © Markus Götzfried
München – Sie schwenken ihre Schilder. Darauf stehen Botschaften in Großbuchstaben wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Bildung statt Bomben“. Frustration, Wut und Zukunftsangst liegen hier, am Bahnhofsplatz in München-Giesing, in der Luft. Am Freitagmittag hat der Bundestag wegen der veränderten Sicherheitslage für die Einführung eines neuen Wehrdienstes gestimmt – 323 Abgeordnete stimmten dafür, 272 dagegen. Kurz nach der Entscheidung in Berlin begann in München der Protest dagegen, zu dem die Initiative „Schulstreik gegen Wehrpflicht“ aufgerufen hat. „Eigentlich sollten wir gerade gegen den Klimawandel kämpfen“, sagt Milo Taft. Der 19-Jährige geht in die 13. Klasse eines Gymnasiums in München, wo er zu dem Zeitpunkt im Unterricht sitzen müsste. Doch das hielt ihn sowie laut Polizei etwa 1300 weitere Teilnehmer nicht davon ab, am Protest in Giesing teilzunehmen. In ganz Deutschland gingen tausende junge Menschen auf die Straße, unter anderem in Berlin, Dresden und Nürnberg.
„Wir wollen nicht für die Interessen von den Regierenden sterben“, sagt Taft, während er einen großen Friedrich Merz aus Pappe in die Luft hält. Vor dem Kanzler steht in gelber Schrift die Frage, wer gerne an der Ostfront sterben würde. Im Hintergrund skandieren die Teilnehmer „die Reichen wollen Krieg, die Jugend eine Zukunft“ und „nie, nie, nie wieder Wehrpflicht“. Seine Generation habe Probleme, einen Beruf oder eine bezahlbare Wohnung zu finden, sagt Taft. „Wir fühlen uns ignoriert.“
Ignoriert, nicht gehört – so empfinden das einige der jungen Menschen, die am Schülerstreik teilnehmen. „Wir fühlen uns übergangen“, sagt Ariane Friedberger (17), die auf eine Fachoberschule in Pasing geht. Der Schülerstreik betraf häufig nur die letzten ein oder zwei Schulstunden. Friedberger findet, dass über die Köpfe ihrer Generation hinweg entschieden werden würde. „Wir sind nicht diejenigen, die Krieg anfangen, müssen es aber am Ende aushalten und vielleicht sogar dafür Leben lassen.“
Friedberger ist 2008 geboren. Sie wird, sofern der Bundesrat am 19. Dezember dem Vorhaben noch zustimmt, wie alle jungen Männer und Frauen ab diesem Geburtsjahrgang ab 2026 einen Fragebogen zur Person erhalten. Darin wird unter anderem die Motivation zum Dienst abgefragt. Männer müssen, Frauen können diesen beantworten. Denn für Frauen sieht das Grundgesetz keine Wehrpflicht vor.
Für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, soll außerdem die Musterung wieder zur Pflicht werden. Pro Jahrgang wären das bundesweit etwa 300 000. Ziel des Gesetzes ist es, dass die Zahl der aktiven Soldaten bis 2035 auf 255 000 bis 270 000 steigt. Stand Ende Oktober waren es etwa 184 000.
Der Wehrdienst soll mindestens sechs Monate dauern und mit mindestens 2600 Euro brutto im Monat bezahlt werden. Zusätzliche Anreize gibt es für längere Verpflichtungen ab zwölf Monaten. Bei zu niedrigen Freiwilligenzahlen soll der Bundestag über eine sogenannte Bedarfswehrpflicht entscheiden können, bei der dann auch ein Zufallsverfahren zur Auswahl genutzt werden kann.
Sollte es zu einer Bedarfspflicht kommen, könnten Männer den Dienst jedoch verweigern. Denn das im Grundgesetz festgehaltene Recht auf Kriegsdienstverweigerung würde dann weiterhin gelten. Wer aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe ablehnt, könnte dann allerdings gegebenenfalls zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden, etwa in Krankenhäusern oder beim Katastrophenschutz.FRANZISKA WEBER