München – In den meisten Fächern gibt es zur Halbzeit des Studiums eine Bachelor-Prüfung. Nicht jedoch in Jura. In Bayern müssen die angehenden Juristen und Juristinnen durchhalten bis zum Schluss: Erst nach Ende der Regelstudienzeit, nach dem 10. Semester, können sie die Erste Juristische Staatsprüfung absolvieren – wenn sie die bestehen, haben sie ihren ersten Abschluss in der Hand. Der Landesstudierendenrat Rechtswissenschaften Bayern fordert seit Langem einen Bachelor-Abschluss für Jura – sozusagen als Zwischenschritt. „Der psychische Leistungsdruck ist groß“, sagt Jasmin Jablonski, Jura-Studentin im 7. Semester an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied in der Fachschaft Jura. Es herrsche eine „Alles-oder-nichts-Stimmung“ bei den Studierenden. Wenn es schiefgeht, „steht man am Ende mit Nichts da“. Und es kann schiefgehen, wie aktuelle Zahlen des bayerischen Justizministeriums zeigen. Von den 1311 Studenten, die im Frühjahr 2025 die Erste Juristische Staatsprüfung ablegten, fiel jeder vierte durch (354). 52 Prüflinge haben die Prüfung wiederholt und somit „endgültig nicht bestanden“.
Auftrieb gibt den Studierenden jetzt die Entwicklung in Baden-Württemberg. Dort hat der Landtag kürzlich einen landesweiten Jura-Bachelor (LL.B.) beschlossen, sogar rückwirkend. „Damit erhalten Studierende, die das Erste Staatsexamen nicht bestehen, erstmals eine faire Chance auf einen anerkannten Studienabschluss“, sagt der baden-württembergische Wissenschaftspolitiker Michael Joukov (Grüne).
Für prononcierte Konservative ist diese Entwicklung ein Graus. Prof. Peter M. Huber war Bundesverfassungsrichter und für die CDU Innenminister in Thüringen. Der Jura-Professor an der LMU lehnt die Pläne gegenüber unserer Zeitung als „Kapitulation vor dem Zeitgeist“ grundsätzlich ab. Die Staatsprüfung hätten Generationen von Juristen bewältigt, nun erscheine sie heutigen Studierenden plötzlich unzumutbar und veranlasse viele sogar, „psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Der Bachelor, wendet Huber ein, mag den Stress für den Einzelnen lindern. „Mittelfristig wird er allerdings das Staatsexamen verdrängen und mit ihm den für Deutschland so charakteristischen Einheitsjuristen.“ Huber warnt: Das werde „die internationale Ausstrahlung, die das deutsche Recht im globalen Vergleich in weiten Teilen noch immer hat, von der Politiker und CEOs allerdings wenig wissen, beschädigen“.
Nicht alle in der Fakultät lehnten den Bachelor so kompromisslos ab wie Huber, heißt es aus der Fachschaft. Anstrengungslos sei das Studium ohnehin nicht, sagt Studentin Jasmin Jablonski. Ihre Fachschaft hält es für sinnvoll, die Schwerpunkt-Seminararbeit, die in der Regel im 5. Semester geschrieben werden muss, als Bachelor-Arbeit zu werten. Eventuell könne man eine mündliche Prüfung dranhängen, das wäre allerdings mehr Aufwand für Studierende und ihre Prüfer.
Allerdings stoßen die Studierenden auch im bayerischen Justizministerium auf keinen Widerhall. Ein sogenannter integrierter Bachelor of Laws, der ohne Zusatzqualifikationen automatisch verliehen werde, sei „nach bayerischem Hochschulrecht nicht zulässig“, erklärt Ministeriumssprecherin Marina Schreier. Sie verweist darauf, dass verschiedene bayerische Unis sehr wohl einen Bachelor of Laws anbieten – allerdings nur in Kombination mit einem weiteren Fach. So gibt es „Digital Law“ an der Universität Regensburg und „Legal Tech“ an der Universität Passau – dabei studiert man jeweils neben Rechtswissenschaft auch noch Informatik. Bei einem Bachelor of Laws ohne solche Zusatzqualifikationen hätten die Absolventen neben Volljuristen keine Chancen am Arbeitsmarkt.
Professor Huber geht es auch noch um Grundsätzliches. Er sei gegen jede „Konzession an die nachlassende Belastungsfähigkeit heutiger Examenskandidaten“, poltert der Jurist. „Was dieses krisengeschüttelte und depressive Land bräuchte, wären wieder mehr Selbstbewusstsein, mehr Leistungsbereitschaft, mehr Resilienz und mehr Tatkraft.“DIRK WALTER